ANNETTE PEHNT:Weibliches Extrem-Cocooning
30In dem Versroman „Die schmutzige Frau“ verschließt sich die Protagonistin in ihrer Wohnung und in ihrem Kopf.vom 03.03.2023, 19:00 Uhr

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„Der ganze Krieg zog an mir vorbei“20.05.2022 25 8

Leuchtende Farben, tobende Natur08.05.2022 8
Er knirscht nachts mit den Zähnen, sie schläft mit geballten Fäusten neben ihm – dieses Bild beschreibt den Zustand der Ehe, die in Annette Pehnts neuem Buch abgehandelt wird und die von subtiler Gewalt, unterdrückter Aggression, Demütigung und männlichem Besitzanspruch gekennzeichnet ist. Umarmungen fühlen sich an wie Fesseln und sind auch so gemeint. Diese Situation lässt eigentlich nur erwarten, dass die Frau sich zur Wehr setzt oder das Weite sucht, aber wenn die Ich-Erzählerin von „Meinmann“ oder „Meinemmann“ beziehungsweise „Meinenmann“ spricht, tut sie es in einer seltsam sanften Tonart, als sei sie mit der Bevormundung einverstanden.
Die jüngste Entscheidung, die der Mann in Abstimmung mit seiner akademisch gebildeten, aber eingeschüchterten Frau getroffen hat: Sie wurde aus der ehelichen Wohnung aus- und in eine andere mit „schöner Aussicht“ einquartiert. Die Frau könnte diese Wohnung jederzeit verlassen, entscheidet sich aber, versorgt von ihrem Ehemann, mit dem sie auch noch intime Momente erlebt, freiwillig für eine läuternde Quarantäne ohne Telefon, Internet und Freigang. Als Corona-Maßnahme kann das nicht verstanden werden, vielmehr wird hier eine extreme psychische Ausnahmesituation beschrieben, wobei die Wohnung als Kokon für eine Weiterentwicklung dienen könnte, als Arrest und Freiraum zugleich.
Fürsorglicher Kerker
Die Unabhängigkeit lässt jedoch auf sich warten: Weil die Frau eine verlässliche Wärterin ihres Gefängnisses ist, muss der unauffällige Blaubart nicht einmal die Tür zum Verlies absperren oder einen Kerker bauen, damit sie ihm nicht entkommt. Getarnt als liebevollen Ratschlag, gibt er auch gleich die Anweisung, wie sie die Freiheit nützen kann: Sie soll schreiben, das wollte sie doch immer, jetzt hat sie endlich – befreit von ihm und dem gemeinsamen Alltag – die Ruhe dazu!Werbung
Annette Pehnt
Die schmutzige Frau
Versroman. Piper, München 2023, 165 Seiten, 22,70 Euro.

Bevor sie sich ans Schreiben macht, sinniert die Frau über die vielen Fehler, die sie sich in der Ehe geleistet hat:
„Meinenmann stören, wenn er in die Arbeit vertieft ist (sehe ich denn nicht, dass er arbeitet)
Meinenmann nicht stören, wenn er in die Arbeit vertieft ist, sodass er vergisst, eine Pause zu machen (langes Sitzen führt zu Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich)
Meinemmann unwillkürlich durch das Haar fahren, weil es in der Sonne glänzt (wieso jetzt gerade, wo ihm nicht danach ist)
Meinemmann nicht durchs Haar fahren, das in der Sonne glänzt“
Was ist mit dieser Frau los, die hinter ihre Gedanken und Äußerungen keine Punkte setzt (sehr wohl aber Fragezeichen), die sich ständig beschmutzt fühlt, aber kein schmutziges Wort in den Mund nimmt, die sich nicht zu wehren weiß oder sich nicht wehren will? Die sich an so viel Gutes in der Beziehung erinnert, aber in jeder Zeile durchklingen lässt, dass „Meinmann“ ein ziemlicher Ungustl mit tiefsitzenden Ängsten vor einer schöpferischen Frau ist?
Handelt es sich hier um eine Depression, um die Ruhe vor dem Sturm, um ein sadomasochistisches Partnerschaftsspiel? Ist die Frau, die so unerträglich lähmend von ihrem Leben berichtet, ein untertäniges Opferschaf, eine von Angst getriebene Person oder ist hier gar eine verkappte Zynikerin am Wort, die mit widerspenstigem Trotz das Machtspiel ihres Gesponses hintertreibt? Ist dieser Text tatsächlich so verstörend versöhnlich, wie er sich gibt?
Annette Pehnts Versroman über Unterdrückungsmechanismen in Beziehungen lässt einiges offen, wobei die artifiziell gestaltete Textform die Entfremdung der Hauptperson noch unterstreicht. Die Autorin verzichtet auf Punkte als Satzzeichen, bringt aber viele Aussagen zielsicher und sprachgewandt auf den Punkt.
Zur Kunst finden
Allerdings verzichtet sie nicht auf ergänzende psychologische Erklärungen, sondern schiebt von der Ich-Erzählerin verfasste Texte ein (mit Punkt und Beistrich), die Auskunft darüber geben, in welchen Situationen die Frau sich als schmutzig empfindet. So wird eine strenge Erziehung zur Reinlichkeit als extrem übergriffig erlebt. Ist die Frau also doch ein willfähriges Opfer und der Subtext gar nicht so weit von den expliziten Aussagen der Frau entfernt?
Annette Pehnt macht es den Leserinnen und Lesern nicht leicht und wählt nicht unbedingt Sympathieträgerinnen als Protagonistinnen. Auch setzt sie nicht auf Eindeutigkeit. Im vorliegenden Buch kann man das als ärgerlich oder reizvoll empfinden. Immerhin löst die „schöne Aussicht“ ein Versprechen ein: Im besten Fall ist der Text die Befreiungsgeschichte einer Frau, die trotz aller Zweifel zum künstlerischen Schaffen findet. Lässt sich diese Entwicklung in derart ambivalenter, potentiell gefährlich missverständlicher Form darstellen? Ja, durchaus, Punkt.
QELLE : wienerzeitung.at
GESUNDHEIT:Wenn Covid nicht weggeht
85Schwere, dauerhafte Verläufe von Post-Covid bleiben die Ausnahme. Die Diagnose ist oft schwierig.vom 03.03.2023, 19:00 Uhr | Update: 04.03.2023, 10:13 Uhr

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Simon RosnerLeitung InnenpolitikMehr zu diesem Thema

Covid-19 und seine Spätfolgen31.01.2023 7 5

Weniger Krankenstände wegen Long-Covid30.12.2022 5 13
Vor zwei Jahren wurden dem internationalen Codierungssystem für Krankheiten zwei Codes hinzugefügt: U09.9 sowie U10.9. Dahinter verbirgt sich der „Post-Covid-19-Zustand“ sowie das „multisystemische Entzündungssyndrom in Verbindung mit Covid-19“. Darunter fällt, was umgangssprachlich als „Long-Covid“ bezeichnet wird. Seit Anfang März 2021 diese Codierung eingeführt wurde, verzeichnete die Österreichische Gesundheitskasse knapp 90.400 Arbeitsunfähigkeitsmeldungen aufgrund dieser Codes. Sehr lange Krankenstände sind die Ausnahme, aber rund 1.000 Betroffene waren doch länger als sechs Monate im Krankenstand, davon waren Anfang Februar noch etwa 400 Personen arbeitsunfähig.ADVERTISING
Long-Covid umfasst aber mehr, als diese Codes abdecken. Laut Leitlinie der Ögam, der Gesellschaft für Allgemeinmedizin, fallen auch langwierige akute Covid-Verläufe bis zu zwölf Wochen darunter. Das war vor Verfügbarkeit der Impfung nicht selten der Fall, als das Virus bei Infizierten oft Lungenentzündungen auslöste. Eine schwere Pneumonie kann lange nachwirken. Ab der zwölften Woche wird von Post-Covid gesprochen, wobei es auch Wochen der Beschwerdefreiheit geben kann.
Nach wie vor ist es nicht seriös zu taxieren, wie viele Personen nach einer Genesung persistente Probleme haben. Für die Gesundheitspolitik wäre es wichtig, um planen zu können, wie viele Nachbehandlungen benötigen und in welcher Form, wie viele spezialisierte Ambulanzen und Rehabilitationsangebote notwendig sind.
Bei den Daten der Gesundheitskasse handelt es sich um Meldungen von Krankenständen, nicht um Personen. Wer sich also mehrfach krank meldet, was durchaus plausibel ist, wird auch mehrfach gezählt. In den Zahlen der ÖGK scheinen nur unselbständig Beschäftigte auf, also weniger als die Hälfte der Bevölkerung, vor allem aber: Beschwerden führen nicht immer zu Krankenständen.https://b08d7b676106c354a7f1db062be31677.safeframe.googlesyndication.com/safeframe/1-0-40/html/container.htmlWerbung
Das beobachtet auch Udo Zifko, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Vorstand der Neurologie am Evangelischen Krankenhaus in Wien, in dem eine Post-Covid-Ambulanz eingerichtet wurde. „Der Großteil ist arbeitsfähig“, sagt Zifko. Das heißt, die Patienten suchen in der Regel zwar erstmals die Ambulanz auf, wenn sie im Krankenstand sind, bleiben aber oft über das Ende der Arbeitsunfähigkeit hinaus in Behandlung. „Ein Viertel ist berufstätig mit Beschwerden und schafft es irgendwie“, sagt Zifko. Nur ganz wenige Personen seien über Monate so stark beeinträchtigt, dass sie bleibend arbeitsunfähig seien.
Große Bandbreite der Symptome und Stärke
Wie viele von Beschwerden geplagt werden, dass sie deshalb Ärzte konsultieren, kann die ÖGK mangels Erfassung nicht sagen. In Deutschland ist die Datenlage besser. In Bayern waren 2021 rund 70.000 und in den ersten drei Quartalen 2022 etwa 120.000 Personen wegen Post-Covid (nur Diagnosecode: U09.9) im niedergelassenen Bereich in Behandlung. Umgelegt auf das kleinere Österreich entsprächen diese Zahlen 130.000 Personen, die aus diesem Grund einen Arzt aufsuchen.
Auffällig ist, dass es im Vorjahr mehr wurden. Zu beachten ist aber der zeitliche Verzug von zumindest drei Monaten. Das heißt, dass ins Jahr 2022 jene Betroffene fallen, die sich im Herbst davor mit dem Delta-Virus infizierten, das pathogener, also „krankmachender“, war. Zur „Wiener Zeitung“ heißt es zudem aus Bayern, dass ein Grund für den Anstieg auch die höhere Sensibilität der Ärzteschaft sein könnte.
Über die Art und den Schweregrad der Symptome geben die Daten aus Bayern keine Auskunft. Die Bandbreite ist groß, von leichter Störung des Geschmacksinns bis zu chronischer Fatigue, also extremer Müdigkeit und Erschöpfung, die Betroffene den Alltag nicht mehr bewältigen lassen.
Laut ÖGK-Daten dauerten bis Anfang Februar 1.049 Krankenstände über ein halbes Jahr, wobei davon 395 noch liefen. Die positive Nachricht: Seit Anfang Dezember ist die Zahl der aktiven Krankenstände über ein halbes Jahr etwas gesunken. In 199 Fällen bestand die Arbeitsunfähigkeit länger als ein Jahr, wobei davon noch 63 Personen arbeitsunfähig sind. Im Dezember waren es 47.
Die „Wiener Zeitung“ hat seit September die Zahlen der Krankenstände regelmäßig abgefragt. Aus der Entwicklung geht eine signifikante Abnahme der Meldungen hervor. Waren es bis September 2022 durchschnittlich pro Monat 4.500 Krankenstände aufgrund von Post-Covid, waren es danach rund 1.100.
In der Ambulanz des Evangelischen Krankenhauses hat dies auch Zifko registriert. Er bleibt aber vorsichtig. „Ich kann es nicht mit Zahlen belegen, aber mein Eindruck ist, dass schwere Fälle eher weniger werden. Das würde auch mit der wissenschaftlichen Literatur zusammenpassen“, sagt er. Die fortgeschrittene Immunität und die Omikron-Varianten haben die Situation auch hinsichtlich der länger andauerenden Beschwerden verändert. Zum Beispiel sind die komplexen Lungenentzündungen, die in der ersten Pandemie-Phase in den Spitälern dominierten, selten geworden. Das bedeutet logischerweise auch, dass die dadurch ausgelösten Folgeprobleme abgenommen haben.
Die Schwierigkeit der Objektivierung
Udo Zifko im Evangelischen Krankenhaus sieht aufgrund seiner Spezialisierung vor allem Patienten mit neurologischen und psychischen Symptomen. „Gerade im neurologischen Bereich lässt sich die Diagnose schwer objektivieren“, sagt Zifko. Man sieht die Symptome, aber oft nichts darüber hinaus, weder im Blut noch in bildgebenden Verfahren. Zu ihm kämen mehr Frauen als Männer, eher jüngere Personen, meistens zwischen 25 und 50 Jahren, berichtet er. „Das gängigste Krankheitsbild sind Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen.“ Auch Depressionen sieht Zifko häufig, wie er sagt.
Oft gelte es bei der Diagnose herauszufinden, ob der Zustand tatsächlich von Covid ausgelöst wurde oder eine andere Störung vorliege, die sich durch „Long-Covid“ nun einen Namen gefunden habe, so Zifko. Er ist auch Gutachter am Arbeitsgericht. Post-Covid spielt mittlerweile auch eine Rolle bei Berufsunfähigkeiten, doch Zahlen gibt es nicht. Denn erfasst wird nur die Hauptdiagnose, zum Beispiel das Chronische Fatigue-Syndrom (G93.3). Ob es in Verbindung mit einer Covid- oder einer Influenza-Erkrankung steht, ist für die Pensionsversicherung nicht bedeutsam.
Long-Covid hat als Begriff bald ausgedient
Beschwerden nach viralen Infektionen sind nicht unbekannt, eben auch nach Grippe. Es wurde nur bisher wenig beforscht. „Vom Ablauf und der Symptomatik ist es vergleichbar, der Unterschied ist aber die Ballung“, sagt Zifko. Derzeit wird übrigens die Long-Covid-Leitlinie von Grund auf überarbeitet, wobei künftig allgemein von einem postviralen Zustand gesprochen werden dürfte, eben weil sich dieses Phänomen nicht nur auf Covid-19 beschränkt.
In die Ambulanz von Zifko kommen übrigens auch Patientinnen und Patienten mit Beschwerden, die diese in Verbindung mit der Impfung bringen. „Ich schätze, auf zehn bis zwölf Personen wegen Post-Covid kommt eine wegen der Impfung.“ Auch dabei sei die Diagnose sehr schwierig. „Vielleicht stimmt es, aber es lässt sich eben nur schwer objektivieren.“ Für die Betroffenen ist das oft mühsam und frustrierend.
Zu möglichen Ursachen wird weltweit intensiv geforscht, immer wieder tauchen neue Ansätze auf, aber die Evidenz ist nicht sehr homogen. Es sind bisher Hypothesen. In der aktuellen Leitlinie werden Gewebeschäden, die Persistenz von Virusbestandteilen und die chronische (Hyper-/Auto-) Inflammation wörtlich als „diskutierte Auslöser“ genannt.
QELLE : wienerzeitung.at
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CHRONIK
Alkoholisierter belästigte junge Frauen in Wien
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QELLE : ORF.AT
Ein Jahr Ukraine-Krieg: Was stoppt Putin?
Seit rund einem Jahr herrscht Krieg in Europa. Am 24. Februar 2022 startete Russland den Angriff auf die Ukraine. Mit seinem Ziel, das Nachbarland rasch militärisch und politisch in die Knie zu zwingen, ist es bis jetzt gescheitert. Wird sich das Schicksal der Ukraine auf dem Schlachtfeld oder in Friedensgesprächen entscheiden? Welcher Weg führt zum Frieden? Und welche Rolle spielen EU und andere internationale Akteure?
- Kiew gerät in Bachmut unter Druck (news.ORF.at)
- Nach russischem Raketenangriff: Selenskyj: Vergeltung für Saporischschja (news.ORF.at)
- Ukraine-Debatte: Autor warnt vor trügerischem Frieden (news.ORF.at)
- Raiffeisen Bank International: Russland-Geschäfte im Scheinwerferlicht (news.ORF.at)
- Scholz ruft Peking zu mehr Engagement auf (news.ORF.at)
- Ö1-Schwerpunkt zum Ukraine-Krieg (oe1.ORF.at)
- Morgenjournal vom 4.3. (oe1.ORF.at)
- Im Fokus: Ein Jahr Krieg in der Ukraine (tvthek.ORF.at)
QELLE : ORF.AT
UKRAINE
Kiew gerät in Bachmut unter Druck
Die ukrainischen Streitkräfte geraten bei der Verteidigung der östlichen Stadt Bachmut gegen die russischen Truppen laut britischen Angaben immer mehr in Bedrängnis. Die Ukraine verstärke zwar ihre Truppen in der Region mit Eliteeinheiten, die russische Armee und Kämpfer der russischen Söldnergruppe Wagner seien aber weiter in die nördlichen Vororte von Bachmut vorgedrungen.Online seit heute, 13.31 UhrTeilen
In der Stadt und der Umgebung gebe es heftige Kämpfe, teilte das britische Verteidigungsministerium am Samstag auf Twitter mit. Zwei wichtige Brücken in Bachmut seien in den vergangenen 36 Stunden zerstört worden, und die von den ukrainischen Truppen gehaltenen Versorgungsrouten seien zunehmend eingeschränkt.
Am Freitag hatte die russische Artillerie die letzten Ausfallstraßen aus Bachmut beschossen, um die seit Monaten umkämpfte Stadt vollends einzuschließen. In der Stadt, in der vor dem Krieg rund 70.000 Menschen lebten, harren noch immer einige tausend Zivilisten und Zivilistinnen aus.
ZIB 13:00, 4.3.2023Offenbar letzte Gefechte um Bachmut
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Updates zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung über den Krieg entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.
„Schlachthaus auf beiden Seiten“
Die Situation sei „ein Schlachthaus auf beiden Seiten“, hatte bereits zuvor der Kommandant einer ukrainischen Einheit der Fernsehstation Espreso TV gesagt. Teile einiger Einheiten seien angewiesen worden, in sichere Stellungen zu wechseln. Der Anführer einer ukrainischen Drohneneinheit sagte in einem Video, seine Einheit sei zum sofortigen Rückzug aufgefordert worden.

Kiew hatte zuvor eingeräumt, dass die Angreifer versuchten, die Stadt einzukesseln. Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sprach von einer fast vollständigen Einkesselung. Eine einzige Straße Richtung Westen würde den Ukrainern noch offen stehen. Ein Wagner-Kämpfer berichtete der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosty, die ukrainischen Truppen hätten bereits fast alle Brücken über den Bachmutska-Fluss gesprengt.
Schoigu in der Ukraine
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu besuchte nach offiziellen Angaben Kampftruppen in der Ukraine. Schoigu habe einen vorgelagerten Gefechtsstand in der Region Süddonezk inspiziert, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. In einem von dem Ministerium veröffentlichten Video ist Schoigu zu sehen, wie er Soldaten Orden verleiht und zusammen mit dem Kommandanten des Östlichen Militärbezirks, Rustam Muradow, eine zerstörte Stadt besichtigt.
Schoigu hat bisher selten die russischen Truppen in der Ukraine besucht. Er wurde in Russland für den Verlauf des Krieges, der nicht den raschen Sieg, dafür aber mehrere herbe Rückschläge brachte, von Kommentatoren und Kriegsverfechtern scharf kritisiert, auch von Wagner-Chef Prigoschin.

NATO: Russland verlor über 2.000 Kampfpanzer
Nach den Worten des NATO-Oberbefehlshabers in Europa hat Russland bisher mehr als 2.000 große Kampfpanzer verloren. Mehr als 200.000 russische Soldaten und über 1.800 Offiziere seien gefallen oder verwundet worden, sagte General Christopher Cavoli am Freitag auf einer Veranstaltung im Hamburger Rathaus. Pro Tag verschieße die russische Armee im Schnitt über 23.000 Artilleriegeschoße.
Während der Fonds des ukrainischen Komikers und Fernsehmoderators Serhij Prytula über 100 gebrauchte Panzerfahrzeuge zur Unterstützung der Armee erworben haben will, machte der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall Verhandlungen über den Bau einer Panzerfabrik auf ukrainischem Boden publik.
„Für rund 200 Millionen Euro kann ein Rheinmetall-Werk in der Ukraine aufgebaut werden, das jährlich bis zu 400 Panther produziert. Die Gespräche mit der dortigen Regierung sind vielversprechend, und ich hoffe auf eine Entscheidung in den nächsten zwei Monaten“, sagte Konzernchef Armin Papperger der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Samstag-Ausgabe). Die Ukraine brauche 600 bis 800 Panzer für einen Sieg, so Papperger laut einem Vorabbericht.
red, ORF.at/Agenturen
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QELLE : ORF.AT
90 Jahre Ausschaltung des Parlaments
Das Endspiel der Demokratie in Österreich
Das Endspiel der Demokratie in Österreich teilenGeschichteZeitgeschichtePolitik
Online seit heute, 06:00 Uhr
90 Jahre nach dem Staatsstreich des Engelbert Dollfuß scheint das österreichische Parlament die Schatten von damals abgeschüttelt zu haben. Jahrzehntelang haben sich ÖVP und SPÖ nach 1945 darum bemüht, dass politische Auseinandersetzungen nie mehr wieder so hochkochen können wie in der Ersten Republik. Das Parlament wirkt jetzt – Anfang März 2023 – nach fünfjähriger Sanierung und Modernisierung wie ein robuster Demokratiepalast. Man könnte meinen, die Zweite Republik hat aus der Tragödie von einst gelernt.Georg Ransmayr, Gerald Heidegger
Es ist weniger die Geschichte, sondern es sind eher die diversen Politskandale, die auf das Ansehen von Demokratie und Parlamentarismus in Österreich drücken. Immer mehr Wählerinnen und Wähler liebäugeln mit demokratischen Alternativmodellen und autoritärem Gedankengut, wie eine exklusive Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SORA im Auftrag der ORF-Zeitgeschichte-Redaktion „Menschen & Mächte“ zeigt: Der komprimierte Krisenstress durch Coronavirus-Pandemie, Inflation, Ukraine-Krieg und Klimabedrohung beflügelt bei gut 20 Prozent der Menschen den diffusen Wunsch nach einem starken Mann, der durchgreifen soll.
Mit Blick auf die Ausschaltung des österreichischen Parlaments im Jahr 1933 drängt sich die Frage nach Parallelen zwischen dem krisengeschüttelten Zeitgeist von anno dazumal und den aktuellen politischen Verwerfungen auf. Die naheliegende Analogie: Heutzutage zweifeln erneut viele Menschen daran, dass demokratische Parlamente genug Problemlösungskraft besitzen. Anders gefragt: Beflügeln Reformstau und Politverdruss heute wieder den Wunsch nach einem starken Mann – oder einer starken Frau?
„Demokratieunzufrieden, nicht demokratiemüde“
„Ich bin mir nicht so sicher, ob die Menschen wirklich demokratiemüde sind. Sie sind demokratieunzufrieden“, sagt dazu die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle. „Viele sind vor allem unzufrieden mit den schleppenden Ergebnissen, die die Demokratie in ihren Augen hervorbringt.“ Der Wirtschaftshistoriker Ernst Bruckmüller ergänzt: „Vielleicht sind auch viele Menschen ein bisschen verwöhnt. Und jetzt, wo es mehr Probleme gibt als vor 20 oder 30 Jahren, sind alle gleich entsetzt und rufen nach dem starken Mann. Von dem wir allerdings aus der Geschichte wissen: Er kann es auch nicht besser!“
Es sind aber auch neuartige Bedrohungen aufgetaucht, die in früheren Jahren psychologisch keine Rolle gespielt haben. Eine davon: der Sturm von bewaffneten Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington Anfang 2021. Mit dem Ziel, nach der Wahlniederlage des US-Präsidenten einen Staatsstreich anzuzetteln. Szenen, die man in einer westlichen Demokratie mit langer Tradition nicht für möglich gehalten hätte.
- Picturedesk.com/Austrian Archives/brandstaetter images
Karl Renner, österreichischer Nationalrat, Nationalratspräsident und späterer Bundespräsident, hier bei seiner Festrede zur Republikfeier 1931
- Picturedesk.com
Geschäftsordnungskrise des Parlaments: Auf der Ministerbank v. l.: Staatssekretär Fey, Handelsminister Jakoncig, Bundeskanzler Dollfuß, Finanzminister Weidenhoffer; am Rednerpult Abgeordneter König, aufgenommen am 4.3.1933
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Zusammentreffen des christlich-sozialen Klubs im Parlament am 15. März 1933
- Picturedesk.com/SZ-Photo/Scherl
Der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß spricht vor einer Menschenmenge, 1932
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Panzerautomobile auf der Ringstraße in Wien am 15. März 1933, dem Tag der „Selbstausschaltung“ des österreichischen Parlaments
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Polizei vor dem Parlament am 15.3.1933
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Wien: Polizeieinheiten auf dem Heldenplatz am 15. März 1933
Diese Bedrohungslage könnte auf die Stimmung der österreichische Bevölkerung abgefärbt haben. Denn 25 Prozent sehen laut SORA-Umfrage in einem Sturm auf das Parlament in Wien eine große Gefahr. Als noch größer wird eine andere Bedrohung eingestuft: 32 Prozent befürchten, dass eine radikalisierte Gruppe oder eine Partei versuchen könnte, den Rechtsstaat zu demontieren.
Wenn sich niemand mehr engagieren will
Eine Gefahr, die der Soziologe Herfried Münkler in seinem Buch „Die Zukunft der Demokratie“ angesprochen hat, schimmert in der aktuellen Stimmungslage ebenfalls durch. 31 Prozent haben die Sorge, dass Extremisten ans Ruder kommen könnten, weil sich niemand mehr politisch engagieren will. Womit Bürgerinnen und Bürger als „Politikkonsumenten“ den Gegnern der Demokratie zu viel Raum geben würden.
Sind die Zustände von 1933 aber mit den modernen Ängsten und der zunehmenden Kritik am Politsystem wirklich vergleichbar? Heutzutage wird der Politik in schnellen Rundumschlägen die Lösungskompetenz abgesprochen, auch bei Fragen, die national nicht mehr zu lösen sind. Der Demokratie wird vorgehalten, sie würde bei der Krisenbewältigung versagen. In Wirtschaftskreisen wird debattiert, ob die Europäische Union langfristig gegen die diktatorische Kommandoökonomie Chinas eine Chance hat.
Historische Parallelen auf dem Prüfstand
Wer genauer hinsieht, merkt jedoch, dass die Unterschiede zwischen den 1930er Jahren und der aktuellen Situation gravierend sind: Damals war die Gewaltbereitschaft hoch, weil nach dem Ersten Weltkrieg die Militarisierung in der Gesellschaft fortgeführt wurde. Von paramilitärischen Verbänden kann in Österreich heute keine Rede sein. Auch die Inflation war damals weit schlimmer als heute. Darüber hinaus stemmen sich Sozialstaaten reflexartig gegen große gesellschaftliche Verwerfungen, auch wenn sie sich dafür schwer verschulden müssen. Finanzielle Notlagen werden bis zu einem gewissen Grad abgefedert. In den 1930er Jahren standen solche Gegenmaßnahmen nicht zur Diskussion. Gespart wurde ohne Rücksicht. Langzeitarbeitslose wurden nach relativ kurzer Zeit „ausgesteuert“ und mussten ohne jede finanzielle Unterstützung über die Runden kommen.

Die autoritären Neigungen, die heutzutage messbar werden, würden daher unter anderen Vorzeichen entstehen, meint Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle: „Unsere Demokratie ist für viele selbstverständlich geworden. Diese Selbstverständlichkeit verleitet viele Menschen dazu, mit alternativen Modellen zu flirten.“ Das heißt aber nicht automatisch, dass nur mit autoritärem Gedankengut geliebäugelt wird. Viele, die mit den derzeitigen politischen Verhältnissen unzufrieden sind oder über Verbesserungen nachdenken, wollen nicht weniger, sondern mehr Demokratie. 63 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher möchten mehr Mitbestimmung in Form einer direkteren Demokratie nach dem Vorbild der Schweiz. 36 Prozent würden sich statt der aktuellen Parteiendemokratie eine überparteiliche Expertenregierung der besten Köpfe nach dem Vorbild der Regierung Brigitte Bierlein wünschen. Beobachter sehen darin den Wunsch nach „unpolitischer Politik“ ohne Parteienhickhack – zumal 57 Prozent der Befragten die Nationalratsabgeordneten für „wenig vernünftig“ halten.
Zu viel Show und zu wenig Tempo
Anders ist die Stimmungslage, wenn es um den Klimaschutz geht. Hier blitzt ein außerparlamentarischer und auch fragwürdiger Impuls auf, der von einem vermeintlich „guten Zweck“ getrieben sein dürfte: 17 Prozent der Befragten hätten gern eine Klimaschutzregierung, die ohne Parlament handeln darf. Personen mit dieser Einstellung wollen den Umweltschutz autoritär geregelt haben, weil sie dem Parlament den nötigen Reformwillen und das nötige Reformtempo absprechen.

Klar antidemokratische bzw. diffus-autoritäre Einstellungsmuster orten die Meinungsforscher von SORA bei 24 Prozent der Bevölkerung. In dieser Gruppe finden sich mehr Menschen als früher, die sich zum Beispiel ein kommunistisches Regierungssystem in Österreich vorstellen können. Sorge bereitet den Experten, dass ein harter und teils gewaltbereiter Kern von elf Prozent einen „starken Führer“, eine „Militärregierung“ bzw. eine „Diktatur auf Zeit“ – nämlich zwei Jahre lang – wünscht.
TV-Hinweis
Mehr zur Ausschaltung des Parlaments 1933 in der „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Weg mit der Quatschbude – die Ausschaltung des Parlaments 1933“, Freitag, 3.3.2023, ORF2, und in tvthek.ORF.at.
Gleichzeitig sprechen sich aber rund 80 Prozent der Befragten, die teils selbst mit der Demokratie unzufrieden sind, weiter für den Fortbestand der Demokratie in Österreich aus. Die paradoxe Erklärung von SORA-Meinungsforscher Günther Ogris: Es gibt neben aufrichtigen Demokratiebefürwortern eine wachsende Gruppe derer, die sich autoritäre Experimente vorstellen können, solange die persönliche Freiheit nicht allzu sehr eingeengt wird. Damit sind viele zwar demokratiemüde, aber trotzdem diktaturresistent. Weniger aus Überzeugung, sondern getrieben von einem merkwürdigen staatsbürgerlichen Eigensinn.

Die autoritäre Illusion und ihre Grenzen
„Es gibt diese Sehnsucht nach einem starken Mann, allerdings ist die sehr eingeschränkt“, erklärt Ogris. „Man wünscht sich jemanden, der einem in der einen Sache, die einem wichtig ist, recht gibt und das durchsetzt. Aber in allen anderen Sachen soll er sich möglichst an die Regeln der Demokratie halten und nicht zu viel zu reden haben.“
Die große Mehrheit ist damit diktaturresistent – zumindest derzeit. „Wenn aber die Unzufriedenheit in einzelnen Fragen oder mit der Regierung und dem politischen System stärker wird, dann könnten autoritäre Stimmungen leichter mobilisierbar werden“, warnt Ogris. „Das macht mir schon Sorge.“ Dazu kommt, dass Österreich während der Coronavirus-Pandemie ein tiefe gesellschaftliche Spaltung erlebt hat. Dieser Riss hat ein bisher ungekanntes Potenzial zu weiterer Polarisierung in anderen Politikfeldern bloßgelegt.
Politologin Stainer-Hämmerle meint: „Ich fürchte weniger eine Diktatur in Österreich in Zukunft als vielmehr eine schleichende Verschiebung, nämlich dass demokratische Werte und vor allem die Bereitschaft zum Konsens abnehmen und am Ende das Allgemeinwohl leidet. Weil eben diese Fähigkeit zum Kompromiss immer weniger ausgeprägt ist und auch vor allem auf immer weniger Verständnis stößt.“
Georg Ransmayr (Text, Gestaltung), ORF TV Wissenschaft „Menschen & Mächte“, Walter Reichl (Kamera), für ORF Topos, Thomas Rützler (Schnitt), für ORF Topos
Links:
QELLE : ORF.AT
ESTLAND
Putins „eiserne“ Gegnerin vor Wahlkrimi
In Estland finden am Sonntag Parlamentswahlen statt – damit verbunden ist die politische Zukunft von Premierministerin Kaja Kallas. Die 45-Jährige machte sich mit ihren mahnenden Worten vor Kriegsausbruch in der Ukraine sowie ihrem harten Kurs gegen Russland europaweit einen Namen. Selbst als künftige NATO-Chefin wird sie in Brüssel von manchen gehandelt. Dass sie Regierungschefin bleibt, gilt nicht als gesetzt.Online seit heute, 7.25 UhrTeilen
„Europas Kassandra“, „Estlands eiserne Lady“ oder auch „Frontfrau des Widerstands gegen Russland“ wird Kallas in Medienberichten genannt. Der Krieg machte sie in Europa unverhofft zum politischen Shootingstar. Der Grund? Während andere europäische Staatschefs Anfang 2022 noch auf Russland einzureden versuchten, setzte Kallas bereits erste Hebel für Waffenlieferungen an die Ukraine in Gang. Die Gefahr für einen Krieg sei „real“, sagte sie fast ein Monat vor Kriegsbeginn.
In den Tagen, Wochen und Monaten nach Kriegsausbruch sollte die Regierungschefin eines Landes, das gerade einmal 1,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählt, breites Gehör finden. „Meine Mutter meinte immer, es sei unhöflich zu sagen, ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘“, sagte Estlands erste Premierministerin in einer vielzitierten Rede im Europäischen Parlament vor beinahe einem Jahr.
Mit „Flucht, Deportationen und Russland“ hätten die Esten einiges an Erfahrung gesammelt, sagte Kallas. Sie selbst sei das „Kind einer Deportierten“, wird die estnische Regierungschefin in den vergangenen Monaten nicht müde zu wiederholen. Ihre Mutter war im Alter von sechs Monaten gemeinsam mit deren Mutter und Großmutter auf dem Viehwagen nach Sibirien gebracht worden. Damals herrschte Josef Stalin. Kallas plädiert für einen langen Atem: „Der Frieden wird nicht morgen ausbrechen.“
Kallas’ Reformpartei stürzt in Umfragen ab
Ihre klare Haltung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine verschaffte Estlands erster Regierungschefin auch im eigenen Land hohe Beliebtheitswerte. Ob sie Premierministerin bleibt, ist aber unklar. Die Zustimmungswerte ihrer Reformpartei waren im Vorfeld der Wahlen im Sinkflug begriffen: Laut einer am Donnerstag von der Zeitung „Postimees“ veröffentlichten Studie liegt die Reformpartei nun bei 24 Prozent, die am rechten politischen Rand stehende Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) kommt auf 22 Prozent.
Größer ist der Vorsprung weiterhin in der Poll of Polls von „Politico“. Noch vor Kurzem hatte der Abstand zwischen den beiden Parteien rund zehn Prozentpunkte betragen. Eine ebenfalls am Donnerstag vom Institut Norstat veröffentlichte Umfrage sah EKRE mit 25,2 Prozent gegenüber 24,8 Prozent für die Reformpartei sogar voran. EKRE war nach den Wahlen vor vier Jahren gemeinsam mit der Zentrumspartei und Vaterlandspartei (Isamaa) an der Regierung beteiligt. EKRE-Politiker sorgten damals mit sexistischen, rassistischen und den Nationalsozialismus relativierenden Aussagen für Skandale.

Schwierige Koalitionsbildung?
Ruhig wurde es um die Partei auch seither nicht: So kursierten etwa Berichte, wonach der Chef der russischen Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, 2019 mit Hilfe von Influencer-Netzwerken versucht haben soll, zugunsten der Partei in den estnischen Wahlkampf einzugreifen. EKRE vertritt eine EU-feindliche Politik. Unklar ist, inwieweit EKRE-Politiker darüber Bescheid wussten.
Eine Koalition zwischen EKRE und Reformpartei gilt jedenfalls als unwahrscheinlich, die Regierungsbildung dürfte infolge der Wahl also schwierig werden. Die derzeitige Koalition aus Reformpartei, Sozialdemokraten und der national-konservativen Vaterlandspartei hätte Umfragen zufolge keine Mehrheit mehr im neuen Parlament. Eine wichtige Rolle könnte die Mitte-links stehende Zentrumspartei spielen – in den Umfragen liegt sie auf Platz drei, gefolgt von der wirtschafts- und sozialliberalen Partei Estland 200, der Vaterlandspartei und den Sozialdemokraten.

Ukraine-Krieg dominiert Wahlkampf
Doch was hätte es für die Ukraine-Politik Estlands zu bedeuten, wenn das Land künftig nicht mehr von Kallas, sondern von EKRE-Chef Martin Helme regiert würde? An der offiziellen Linie dürfte sich wenig ändern, meint der Politologe Tonis Saarts (Universität Tallinn) im Gespräch mit ORF.at – egal, wer letztlich an der Regierungsspitze steht.
Ein anderes Paar Schuhe sei aber, wie EKRE in inoffiziellen Kanälen kommuniziere. Tatsache ist, dass Helme im Wahlkampf einen vorsichtigeren Ton in puncto Waffenlieferungen angeschlagen hatte. Estland laufe Gefahr, „mit leeren Händen“ dazustehen und sich nicht selbst verteidigen zu können, sagte der Politiker.
Kallas: Verpatzte Anfangsphase?
Kallas – klammert man ihre klare Haltung im Ukraine-Krieg aus – ist auch nicht so unumstritten, wie man in Europa vielleicht glauben mag. Zu Beginn ihrer Amtszeit 2021 habe sie sich „sehr schlecht“ geschlagen, sagte Saarts. Krisenkommunikation und Krisenmanagement wollten ihr weder im Zuge der Coronavirus-Pandemie noch im Zuge der Energiekrise gelingen, so der Experte.
„Bis zum Krieg und auch danach war ihre Amtszeit zum Scheitern verurteilt“, sagte Saarts. „Ich kann mich an keinen Premierminister erinnern, der so unerfahren war wie Kaja Kallas“, sagte er über ihr innenpolitisches Schaffen. Dabei brachte die Juristin politische Erfahrung mit: Von 2014 bis 2018 war sie Europaparlamentarierin. Vor allem auch Vergleiche mit ihrem Vater Siim Kallas muss sich die Estin immer wieder gefallen lassen. Siim Kallas war Mitbegründer der Unabhängigkeitsbewegung Estlands, Premierminister und EU-Kommissar.

Regierungschefin schafft Neuerfindung
„Doch mit dem Krieg verbesserte sich ihr internationales Standing. Sie wurde prominent“, so Saarts. Das hatte Folgen: Sie habe mehr Selbstbewusstsein gewonnen, mehr Autorität im eigenen Kabinett erlangt und wurde auch in der Bevölkerung beliebter. Selbst nachdem im Sommer die Koalition mit der Zentrumspartei zerbrochen war, gelang es ihr, wieder eine Regierung zu bilden.
Dass Kallas von manchen hinter verschlossenen Türen als geeignete Nachfolgerin für NATO-Chef Jens Stoltenberg angesehen wird, schadet dem Ansehen der 45-Jährigen ebenso wenig. Welche Koalition es letztlich wird, ist unklar, hielt der Experte auch fest. In Europa wartet man jedenfalls mit Spannung auf den Ausgang der Wahlen in dem kleinen baltischen Land.
Katja Lehner, ORF.at, aus Brüssel
Links:
- Regierung Estland
- Tonis Saarts (Tallinn University)
- „Spiegel“-Artikel
- „Süddeutsche“-Artikel
- „Politico“-Artikel
- „Politico“-Artikel
QELLE : ORF.AT
CHRONIK
Anhänger aus Asche verstorbener Tiere
Um das Ableben von Hund, Katze und Co. zu erleichtern, bietet das Tierkrematorium Wien die Fertigung von Erinnerungsstücken an. Ein Großteil der Kundschaft entscheidet sich etwa für einen Anhänger mit der Asche ihres geliebten Tiers.Online seit heute, 0.10 UhrTeilen
Die Trauer nach dem Verlust eines Haustiers ist oft groß. Im Wiener Tierkrematorium im 11. Bezirk können sich die Menschen würdig von ihnen verabschieden. Hier werden nämlich Anhänger mit Asche des verstorbenen Tieres hergestellt. Das soll im Trauerprozess helfen und das Tier auch nach dessen Tod greifbar machen.
Familie Albrecht beispielsweise musste sich vor ein paar Wochen von ihrem Husky „Shadow“ verabschieden. Im Gedenken an den Vierbeiner ließen sie einen Teil seiner Asche in einen Anhänger füllen. „Es sollte ein Andenken sein und das ein Teil von unserem Hund immer mit uns dabei sein wird. Er war ein Familienmitglied“, erklärte Lara Albrecht. Für ein solches Schmuckstück wie Familie Albrecht entscheidet sich fast jede dritte Kundin beziehungsweise jeder dritte Kunde.
Wien heute, 3.3.2023Anhänger mit geliebtem Haustier02:39
Kosten des Anhängers liegen bei 75 Euro
Im Tierkrematorium können die Menschen bei allen Prozessen dabei sein und sogar den Kremierbereich einsehen. „Die Kundinnen und Kunden können dabei bleiben, wie auch der Sarg in den Ofen hineingeschoben wird. Viele Kunden nehmen das in Anspruch, einfach noch um sich zu verabschieden“, sagte Katharina Messinger vom Wiener Tierkrematorium. Die Kosten für den Anhänger liegen bei 75 Euro. Wie viel eine Kremierung kostet, ist abhängig vom Körpergewicht des Tiers.
Aber nicht nur Hunde und Katzen finden hier ihren letzten Frieden, ab sofort bietet das Krematorium auch kleine Miniurnen an. Darin haben laut Katharina Messinger unter Umständen sogar ganze Hamster Platz. „Die [Kundinnen und Kunden] freuen sich dann, dass es eine Urne gibt, die auch für einen Zwerghamster zum Beispiel geeignet ist“, so Messinger.
red, wien.ORF.at/Agenturen
Link:
- Wiener Tierkrematorium
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VERKEHR
Gumpendorfer Straße: Wunsch nach Grün
Die geplante Umgestaltung der Gumpendorfer Straße in Mariahilf geht in die nächste Runde. Das Ergebnis der Online-Befragung der Bezirksbewohnerinnen und -bewohner liegt vor. Groß ist der Wunsch vor allem nach mehr Grün und besseren Gehsteigen.Online seit heute, 5.00 UhrTeilen
Die mehrheitlichen Wünsche und Ideen sollen die Grundlage für die Neugestaltung der Gumpendorfer Straße sein. Rund 1.400 Bezirksbewohner und -bewohnerinnen haben online oder per Fragebogen ihre Ideen und Wünsche für die Umgestaltung der Gumpendorfer Straße eingebracht. Davon machen direkte Anrainerinnen und Anrainer rund die Hälfte aus, sagte Bezirksvorsteher Markus Rumelhart (SPÖ).
Gehfreundlicher und sicherer
Die Wünsche der Bevölkerung seien recht eindeutig gewesen. „Es haben sich sehr viele für mehr Grün in der Straße ausgesprochen.“ Große Anliegen waren laut Rumelhart auch, „dass die Straße lebendiger wird, dass sie gehfreundlicher wird, dass sie sicherer wird“. Aber auch Maßnahmen zur Klimawandelanpassung, wie mehr Beschattung, sind gefragt.MEHR ZUM THEMAGumpendorfer Straße: Start für Bürgerbeteiligung
Der Bezirk will jetzt noch Gruppen befragen, die bisher weniger zu Wort gekommen sind. Dabei geht es vor allem um Personen unter 20 und über 65. „Wir werden mit unserem Seniorentreff und auch mit unserer Jugendarbeit im Bezirk noch gezielte Gespräche und Workshops anbieten, um auch diese Meinung ganz klar einfließen zu lassen.“
Weitere Termine in nächsten Wochen
Im März und April gibt es zudem zwölf Termine an verschiedenen Orten im Bezirk, um weitere Vorschläge einzubringen. Diese sollen dann die Grundlage für das Leitbild sein. „Es muss sich die Stimmung und die Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung in der Planung abbilden“, sagt Rumelhart. Der Beteiligungsprozess läuft bis Ende des Jahres. 2025 soll ein großer Abschnitt der neuen Gumpendorfer Straße fertig sein.
red, wien.ORF.at
Link:
- Infos zum Beteiligungsprozess
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POLITIK
Ukrainerinnen sehen Zukunft öfter in Österreich
Seit mehr als einem Jahr herrscht in der Ukraine Krieg – länger, als viele Ukrainerinnen und Ukrainer erwartet hatten. Immer mehr Vertriebene würden planen, in Österreich zu bleiben, stellte Claudia Lui, Leiterin des Beratungszentrums Ukraine der Diakonie, fest.Online seit heute, 10.17 UhrTeilen
75 bis 80 Prozent jener, die sich dort beraten lassen, seien weiblich. Ein 20 Nationalitäten umfassendes Team – viele Mitglieder sprechen Russisch oder Ukrainisch – hat im Beratungszentrum in Wien-Ottakring seit Kriegsbeginn etwa 13.000 Klientinnen und Klienten beraten, erzählte die Leiterin. Kommen ukrainische Männer, so seien diese meist älter oder beeinträchtigt, da sie nur unter bestimmten Umständen ausreisen durften – im Rahmen der allgemeinen Mobilmachung wurde zu Kriegsbeginn für wehrpflichtige Ukrainer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren ein Ausreiseverbot verhängt.
Hochqualifizierte Arbeitskräfte
Täglich komme man auf 60 bis 70 Beratungsgespräche. Dabei will die Diakonie „möglichst breit alle Fragestellungen oder Problemfelder abdecken“, meinte Lui. Man behandle das Thema Wohnen, beispielsweise Fragen zu Energiepreisen und privaten Wohnungen, sowie Arbeitsmarktintegration und leiste Sozialberatung sowie sozialmedizinische Beratung. Dabei könne der österreichische Arbeitsmarkt die Vertriebenen brauchen – etwa im medizinischen, pädagogischen und technischen Bereich, so Lui. Der überwiegende Teil ihrer Klientinnen habe eine Hochschulqualifikation.
Die Menschen seien gut digitalisiert, könnten schnell Deutsch lernen, sich orientieren und sich oft selbst helfen. „Was mir auch sehr gut gefällt an den Ukrainern und Ukrainerinnen ist, dass sie sich nicht so leicht dequalifizieren lassen“, meinte Lui. Sie würden qualifiziert in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Allein aus ökonomischer und damit egoistischer Sicht würde Österreich also gut daran tun, den Menschen aus der Ukraine entgegenzukommen.
20.979 Beschäftigungsbewilligungen wurden laut Arbeitsministerium für Vertriebene bisher erteilt, davon sind 13.378 aufrecht, 7.413 Vertriebene sind beim AMS vorgemerkt. Zwischen Jänner 2022 und Jänner 2023 haben 2.205 Ukrainer und 6.205 Ukrainerinnen – allerdings nicht nur Vertriebene – eine Beschäftigung aufgenommen.
Familienzusammenführungen in Österreich
Viele Ukrainerinnen würden Monat um Monat damit hadern, zurückzugehen und könnten sich so keine Perspektive aufbauen, meinte Lui. Immer mehr Vertriebenen werde aber bewusst, dass sie die Zukunft unter Umständen in Österreich verbringen werden. Es sei „durchaus wahrscheinlich“, dass Familienzusammenführungen in Zukunft in Österreich stattfinden und nicht in der Ukraine. Besonders in den Kindern sieht Lui einen Anker: „Je eher die Kinder in Österreich sozialisiert werden, desto eher bleiben auch die Eltern.“
In ihre Mutterrolle würden Ukrainerinnen teils erst in Österreich intensiver eintauchen. Frauen seien durch die Flucht oft zu Alleinerzieherinnen geworden. Das sei eine große Umstellung, hätten die Großeltern doch zuvor oft vorrangig auf die Kinder aufgepasst. Die neue Situation könne Mütter überfordern. Die Ukrainerinnen würden indes eher zu Teilzeitjobs tendieren, um ihre Kinder nicht länger als notwendig allein einer fremden Umgebung auszusetzen.
Längerfristiger Aufenthaltstitel
Derzeit wird ukrainischen Vertriebenen bis März 2024 der Aufenthalt in Österreich gewährt. Mehr Perspektiven schaffen könne ein längerfristiger Aufenthaltstitel. Das sei die Basis etwa für das Unterschreiben eines Mietvertrages für drei Jahre oder den Beginn einer Ausbildung und könne davon überzeugen, die Fremdsprache Deutsch zu lernen. Sinnvoll fände Lui, dass Vertriebene, die oft unter Vorerkrankungen leiden, Pflegegeld erhalten können. Positiv sieht sie das Stimmungsbild in der Gesellschaft, wo die ukrainischen Vertriebenen „nach wie vor willkommen sind“.
red, wien.ORF.at/Agenturen
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