ANNETTE PEHNT:Weibliches Extrem-Cocooning

30In dem Versroman „Die schmutzige Frau“ verschließt sich die Protagonistin in ihrer Wohnung und in ihrem Kopf.vom 03.03.2023, 19:00 Uhr

Kunstvolle Mehrdeutigkeit durchzieht Annette Pehnts Literatur. 
- © Peter von Felbert / Piper Verlag
Kunstvolle Mehrdeutigkeit durchzieht Annette Pehnts Literatur.© Peter von Felbert / Piper Verlag

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Er knirscht nachts mit den Zähnen, sie schläft mit geballten Fäusten neben ihm – dieses Bild beschreibt den Zustand der Ehe, die in Annette Pehnts neuem Buch abgehandelt wird und die von subtiler Gewalt, unterdrückter Aggression, Demütigung und männlichem Besitzanspruch gekennzeichnet ist. Umarmungen fühlen sich an wie Fesseln und sind auch so gemeint. Diese Situation lässt eigentlich nur erwarten, dass die Frau sich zur Wehr setzt oder das Weite sucht, aber wenn die Ich-Erzählerin von „Meinmann“ oder „Meinemmann“ beziehungsweise „Meinenmann“ spricht, tut sie es in einer seltsam sanften Tonart, als sei sie mit der Bevormundung einverstanden.

Die jüngste Entscheidung, die der Mann in Abstimmung mit seiner akademisch gebildeten, aber eingeschüchterten Frau getroffen hat: Sie wurde aus der ehelichen Wohnung aus- und in eine andere mit „schöner Aussicht“ einquartiert. Die Frau könnte diese Wohnung jederzeit verlassen, entscheidet sich aber, versorgt von ihrem Ehemann, mit dem sie auch noch intime Momente erlebt, freiwillig für eine läuternde Quarantäne ohne Telefon, Internet und Freigang. Als Corona-Maßnahme kann das nicht verstanden werden, vielmehr wird hier eine extreme psychische Ausnahmesituation beschrieben, wobei die Wohnung als Kokon für eine Weiterentwicklung dienen könnte, als Arrest und Freiraum zugleich.

Fürsorglicher Kerker

Die Unabhängigkeit lässt jedoch auf sich warten: Weil die Frau eine verlässliche Wärterin ihres Gefängnisses ist, muss der unauffällige Blaubart nicht einmal die Tür zum Verlies absperren oder einen Kerker bauen, damit sie ihm nicht entkommt. Getarnt als liebevollen Ratschlag, gibt er auch gleich die Anweisung, wie sie die Freiheit nützen kann: Sie soll schreiben, das wollte sie doch immer, jetzt hat sie endlich – befreit von ihm und dem gemeinsamen Alltag – die Ruhe dazu!Werbung

Annette Pehnt

Die schmutzige Frau

Versroman. Piper, München 2023, 165 Seiten, 22,70 Euro.

- © Piper
© Piper

Bevor sie sich ans Schreiben macht, sinniert die Frau über die vielen Fehler, die sie sich in der Ehe geleistet hat:

„Meinenmann stören, wenn er in die Arbeit vertieft ist (sehe ich denn nicht, dass er arbeitet)

Meinenmann nicht stören, wenn er in die Arbeit vertieft ist, sodass er vergisst, eine Pause zu machen (langes Sitzen führt zu Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich)

Meinemmann unwillkürlich durch das Haar fahren, weil es in der Sonne glänzt (wieso jetzt gerade, wo ihm nicht danach ist)

Meinemmann nicht durchs Haar fahren, das in der Sonne glänzt“

Was ist mit dieser Frau los, die hinter ihre Gedanken und Äußerungen keine Punkte setzt (sehr wohl aber Fragezeichen), die sich ständig beschmutzt fühlt, aber kein schmutziges Wort in den Mund nimmt, die sich nicht zu wehren weiß oder sich nicht wehren will? Die sich an so viel Gutes in der Beziehung erinnert, aber in jeder Zeile durchklingen lässt, dass „Meinmann“ ein ziemlicher Ungustl mit tiefsitzenden Ängsten vor einer schöpferischen Frau ist?

Handelt es sich hier um eine Depression, um die Ruhe vor dem Sturm, um ein sadomasochistisches Partnerschaftsspiel? Ist die Frau, die so unerträglich lähmend von ihrem Leben berichtet, ein untertäniges Opferschaf, eine von Angst getriebene Person oder ist hier gar eine verkappte Zynikerin am Wort, die mit widerspenstigem Trotz das Machtspiel ihres Gesponses hintertreibt? Ist dieser Text tatsächlich so verstörend versöhnlich, wie er sich gibt?

Annette Pehnts Versroman über Unterdrückungsmechanismen in Beziehungen lässt einiges offen, wobei die artifiziell gestaltete Textform die Entfremdung der Hauptperson noch unterstreicht. Die Autorin verzichtet auf Punkte als Satzzeichen, bringt aber viele Aussagen zielsicher und sprachgewandt auf den Punkt.

Zur Kunst finden

Allerdings verzichtet sie nicht auf ergänzende psychologische Erklärungen, sondern schiebt von der Ich-Erzählerin verfasste Texte ein (mit Punkt und Beistrich), die Auskunft darüber geben, in welchen Situationen die Frau sich als schmutzig empfindet. So wird eine strenge Erziehung zur Reinlichkeit als extrem übergriffig erlebt. Ist die Frau also doch ein willfähriges Opfer und der Subtext gar nicht so weit von den expliziten Aussagen der Frau entfernt?

Annette Pehnt macht es den Leserinnen und Lesern nicht leicht und wählt nicht unbedingt Sympathieträgerinnen als Protagonistinnen. Auch setzt sie nicht auf Eindeutigkeit. Im vorliegenden Buch kann man das als ärgerlich oder reizvoll empfinden. Immerhin löst die „schöne Aussicht“ ein Versprechen ein: Im besten Fall ist der Text die Befreiungsgeschichte einer Frau, die trotz aller Zweifel zum künstlerischen Schaffen findet. Lässt sich diese Entwicklung in derart ambivalenter, potentiell gefährlich missverständlicher Form darstellen? Ja, durchaus, Punkt.

QELLE : wienerzeitung.at

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