Stadtplanung

Großbaustellen, die Wien zu Wien machten

Großbaustellen, die Wien zu Wien machten teilenZeitgeschichteKulturÖsterreichGeschichte

23. Februar 2022, 12:00 UhrDieser Beitrag ist älter als ein Jahr

Was gibt es Spannenderes, als Baustellenschauen? Das kann man jetzt am Baustellenzaun – und zwar in doppelter Hinsicht: Das Wien Museum zeigt am Rande der eigenen Baustelle großformatige Luftaufnahmen von den wichtigsten Baustellen der Wiener Nachkriegsmoderne, wie etwa jenen der Wiener Stadthalle, der UNO-City, des Wohnparks Alterlaa und der Donauinsel. Der Bauboom von damals erinnert an jenen von heute.Simon Hadler

Aber was ist eigentlich so toll an Baustellen, warum können so viele Menschen nicht an ihnen vorbeigehen, ohne zumindest verstohlen zu gaffen? Sandor Bekesi, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, erklärt sich das im Interview mit ORF.at so: Baustellen, gerade bei Großprojekten, seien eine Störung, sie würden Veränderung bedeuten. Und dann all die gewaltigen Maschinen, die man so noch nie gesehen habe!

Gerade nach dem Krieg veränderte sich die Stadt, sie wurde zweigeteilt. Hier die Gründerzeitviertel, dort die Per-Albin-Hansson-Siedlung, die Großfeldsiedlung, der Rennbahnweg, der Wohnpark Alterlaa. Die Bausubstanz der Gründerzeithäuser verfiel, das Alte verlor an Attraktivität. Diese gravierende Änderung im Stadtbild wollte man sehen. Oder die Bagger, die die Donauinsel schaufelten. Oder die größte Baugrube Europas am Wiener Karlsplatz. Für solche Megabaustellen gab es schon damals – wie zuletzt in Wien beim Bau des Hauptbahnhofs – eigene Türme zum Beobachten. Die Baustellen waren echte Attraktionen.01:54

Die Baustelle der Wiener Stadthalle

Stadtentwicklung im Zoom

Aber die Ausstellung widmet sich nicht nur der Lust am Schauen. Initiiert wurde sie vom Stadt- und Umwelthistoriker Friedrich Hauer, der zuvor auf die spektakulären Schrägluftaufnahmen gestoßen war. Während Bilder von oben einen Stadtplancharakter vermitteln, sieht man in der Schräge etwas von den Gebäuden, man zoomt sich in eine 3D-Landschaft und kann viele Details erkennen, vor allem bei den riesigen Blow-ups am Baustellenzaun des Wien Museums. Dort sind auch analytische „Lesehilfen“ der Stadt in die Bilder eingeschrieben.

Schnell ist klar: Es gibt Phasen, in denen eine Stadt regelrecht geformt wird. Die Gründerzeit im 19. Jahrhundert, deren Bauten bis heute die Innenstadtbezirke Wiens und Teile der Außenbezirke prägen, war so eine Zeit. Und auch die Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg schrieben sich tief in die Stadt ein. So wie auch heute das Stadtbild der Zukunft geprägt wird. Solche Phasen haben etwas gemeinsam: Es passt der Mix aus wirtschaftlichen und politischen Faktoren: Das Geld ist da, die Zinsen stimmen – und die politische Situation.01:08

Die Baustelle der UNO-City

Die Stadt wurde dem Auto untertan gemacht

Auch die Demographie und die gesellschaftliche Großwetterlage müssen passen. Während der Gründerzeit wuchs die Stadt aufgrund des Zuzugs. Und in den Wirtschaftswunderjahren wurde sie dem Auto untertan gemacht. Bekesi erzählt, dass viel von dem, was damals gebaut wurde, dazu diente, dem Autoverkehr freie Bahn zu verschaffen. Der Praterstern etwa. Und auch die unterirdische Karlsplatz-Passage müsse man nicht als Baujuwel verklären. Sie sollte die Fußgänger von der Oberfläche verbannen, genauso das „Jonas-Reindl“ am Schottentor.

Anderes wiederum war Symbol für die Aufbruchsstimmung, wie etwa die Wiener Stadthalle des Architekten Roland Rainer, mit der die Verantwortlichen zeigen wollten, wie modern die Stadt sein kann. Oder die Donauinsel, an der man Details kritisieren kann – die aber Wien erstens effektiv vor Hochwasser schützt und zweitens, wie Bekesi betont, als Naherholungsgebiet für die Menschen in Wien bis heute wichtig geblieben ist.01:01

Die Baustelle der Donauinsel

Viel radikaler hätte man den Stadtraum damals neu definieren können, so Bekesi, aber dafür hätten der Mut und der politische Wille gefehlt. Man hätte auch eine Ausstellung darüber machen können, was damals alles gerade nicht gebaut wurde. Und von dem, was umgesetzt wurde, habe sich manches bewährt, und manches eben nicht, manches wurde rückgängig gemacht. Von der Wiedner Hauptstraße zur Oper kann man heute wieder oberirdisch gehen – so wie man auch die Ringstraße beim Schottentor wieder überqueren kann, ohne unter der Erde verschwinden zu müssen.

Was bleibt – und was nicht

So wie wir heute auf damals zurückblicken – kritisch und mit Distanz – wird auch auf den beispiellosen Bauboom der heutigen Zeit zurückgeblickt werden: von den Hochhausprojekten auf der Donauplatte über das Sonnwendviertel und die Seestadt bis hin zum Heumarkt-Projekt und den neuen Bauten entlang des Donaukanals. Schon jetzt etwa würde bei der Seestadt darüber diskutiert werden, ob die anfänglich gar nicht so geplante Verdichtung eine so gute Idee war und die Stadt in der Stadt als solche wirklich gut funktioniere.

Und schon jetzt, so Bekesi, sei absehbar, dass man in Zukunft beim Blick auf das eine oder andere Hochhaus die Hände über dem Kopf zusammenschlagen wird. Welche genau er meint, möchte er nicht sagen. Aber: Da sei einiges ausgeufert in letzter Zeit, da werde man noch einiges bereuen. Anderes wieder werde auch noch in 40 Jahren „super funktionieren“. Möge der Anteil derer, die im Rückblick vieles „super“ finden, höher sein als der Anteil jener, die die Nase rümpfen über die 10er und 20er Jahre des 21. Jahrhunderts.

Simon Hadler, ORF Topos

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v1.0.4-production (04. April 2023, 12:05:59)

QELLE : ORF.AT

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