Österreichs Fußball und das „Dritte Reich“
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Skifahren und Fußball waren schon in den 1930er Jahren österreichische Nationalsportarten. Im Fußball war Österreich durch das „Wunderteam“ Anfang der 30er eine Macht. Doch mit dem Ständestaat und letztlich mit dem „Anschluss“ 1938 änderte sich alles. Jüdische Spitzensportler und Funktionäre wurden verfolgt oder ermordet, die „arischen Sportler“ dagegen als Draufgänger inszeniert.Gerald Heidegger, Robert Gokl
Mit der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich wurden auch die Sportverbände in den NS-Reichsbund für Leibesübungen überführt. Symbolisch vollzogen wurde der „Anschluss“ mit einem „Versöhnungsspiel“ am 3. April 1938, eine Woche vor der Volksabstimmung, mit der die Bevölkerung den Einmarsch der Deutschen vom 12. März 1938 bestätigen sollte.
Die politischen Umwälzungen hatten den österreichischen Sport, nicht zuletzt den Fußball, sofort erfasst. Fußball hatte eine hohe propagandistische Bedeutung für das NS-Regime. Jüdische Vereine wie etwa der SC Hakoah mussten ihre Vereinstätigkeit sofort einstellen, jüdische Spieler und Funktionäre sahen sich noch im März 1938 aus ihren Vereinen ausgeschlossen. Der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) löste sich am 28. März de facto auf und trat aus dem Fußballweltverband (FIFA) aus.
Deshalb findet sich die Begegnung vom 3. April 1938, „Gau Österreich“ gegen „Deutsche Reichsmannschaft“, auch in keiner Länderspielstatistik. Für die Nazis sollte das Versöhnungsspiel, das als „Anschlussspiel“ in die Erinnerungskultur einging, ein Signal für die Volksabstimmung werden. Der Kärntner NS-Funktionär Friedrich Rainer wurde als „Sportführer“ mit der Organisation des Spiels betraut.
Die Pikanterie dabei: Rainer war gleichzeitig auch Leiter des Wahlorganisationsamtes und damit für die Abwicklung der Volksabstimmung verantwortlich. Zwar war im Vorfeld der positive Ausgang der Abstimmung gewiss. Doch jeder Prozentsatz gegen den „Anschluss“ hätte für das NS-Regime als Gesichtsverlust interpretiert werden können. Die Fußballbegegnung sollte eine Form der Wahlwerbung sein. So marschierten vor dem Spiel die beiden Wiener Aktiven Otto Marischka und Rudolf Zöhrer mit einem Transparent mit der Aufschrift „Sportler stimmen mit ‚Ja‘“ aufs Feld.
Bei der Weltmeisterschaft im Juni in Frankreich sollten die deutschen und österreichischen Spieler unter der Führung von Sepp Herberger „vereint“ auf den Platz laufen. Am 3. April sah man ein „deutsch-österreichisches“ Team in Rot-Weiß-Rot auf den Platz laufen – allen voran ein Matthias Sindelar, der mit dem Match sein Comeback gab. War die erste Hälfte so etwas wie das Vorspiel zur „Schande von Gijon“ 1982, wo kein Team dem anderen ein Tor zu schießen drohte und Österreich die erarbeiteten Chancen diplomatisch vergab, riss in der zweiten Hälfte das vorgegebene Freundschaftsband: Sindelar erzielte in der 62. Minute das erste Tor. Acht Minuten später traf Karl Sesta aus einem Freistoß zum 2:0-Endstand für die Österreicher.

Verklärungen nach 1945
Nach 1945 hat eine Verklärung des Spiels stattgefunden, die an die Absetzbewegung Österreichs von einer deutschen Identität erinnert. So wertete man die Trikotwahl der Österreicher mit rot-weiß-rot, auf der dem Vernehmen nach Sindelar bestanden haben soll, als widerständigen Akt. Dass man schon davor in dieser Farbwahl aufgetreten war, wird gerne übersehen. Dass man den Ausgang des Spieles diktiert habe, ist historisch nicht belegbar. Auch der Torjubel von Sindelar beim 1:0 als widerständiger Akt verdankt sich doch mehr einer Verklärung.
Im Juni 1938 gehörten neun „Österreicher“ dem 22-Mann-Kader der deutschen Nationalmannschaft in Frankreich an, die schon im Achtelfinale gegen die Schweiz ausschied. Auch in der Folge wurden immer wieder „österreichische“ Spieler in die reichsdeutsche Nationalmannschaft einberufen. Bis zur Einstellung des deutschen Länderspielverkehrs im Jahr 1942 kam Spitzenreiter Wilhelm Hahnemann auf 23 Einsätze und erzielte dabei 16 Treffer.

Der Fußball und die Kriegspropaganda
Nachdem die NS-Führung mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte, bekam der Fußball besondere Bedeutung: als Ablenkung vom Frontgeschehen, als „Pausenraum“ im Krieg. Die eruptiven Emotionen auf dem Spielfeld und den Zuschauerrängen wurden aber von der Gestapo argwöhnisch beobachtet. Das Fußballstadion war einer der wenigen Orte im „Dritten Reich“, an dem spontanes, undiszipliniertes Verhalten möglich war. Fußballrandale und Platztumult können daher auch als vorpolitischer Widerstand im NS-Zwangssystem gedeutet werden.
Dabei spielten immer wieder Spannungen und Reibereien zwischen Mannschaften aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ eine Rolle. Auch nach dem „Anschluss“ wollten vor allem Wiener Mannschaften die Überlegenheit ihrer „Ballzauberei“ demonstrieren. Höhepunkt dieser Rivalität war das Spiel um die deutsche Meisterschaft 1941 zwischen Rapid Wien und Schalke 04. Einmalig in der deutschen Fußballgeschichte wurde eine österreichische Mannschaft deutscher Meister. Rapid lag bis zur 60. Minute 0:3 im Rückstand und gewann doch noch mit einem Treffer von Georg Schors und einem Hattrick von Franz ‚Bimbo‘ Binder mit 4:3.
Am Spieltag, dem 22. Juni 1941, hatte das „Dritte Reich“ die Sowjetunion überfallen, das Spiel im Berliner Olympia-Stadion fand unter Flak-Schutz statt, die meisten Spieler der Rapid-Mannschaft waren bereits zur Wehrmacht eingezogen worden.
„Braune Bretteln, braunes Leder“
Martin Betz ist für die neue „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Braune Brettln, braunes Leder“ auf Spurensuche gegangen: auf die Fußballplätze in Wien und die Skipisten von Kitzbühel und St. Anton, aber auch zu den versteckten Plätzen der Flucht und den verdrängten Orten von Verbrechen, bis nach Frankreich, Holland und Griechenland.
Die Doku ist am Dienstag, 4.4.2023, um 22.30 Uhr in ORF2 und danach in tvthek.ORF.at zu sehen.
Die Rolle der großen Wiener Vereine
Mit „Braune Brettln, braunes Leder“ schaut eine Dokumentation auf die Folgen des Rassismus auf Fußballplätzen. Der Fokus liegt dabei nicht zuletzt auf den Wiener Leitvereinen Rapid und Austria. Emanuel „Michl“ Schwarz, der Austria-Präsident der Zwischenkriegszeit, wurde wie der gesamte jüdische Vorstand des Vereins seines Amtes enthoben und musste aus Wien flüchten. Im besetzten Frankreich wurde er schließlich doch verhaftet.
„Mein Großvater hatte das Riesenglück, dass in dem Anhaltelager, in dem er interniert war, der Kommandant ein Fußballfan war. Der hat ihn erkannt und ihm zur Flucht verholfen“, erzählt sein Enkel Thomas Schwarz. Danach wurde Schwarz jahrelang von dem ebenfalls im Untergrund lebenden Hakoah-Spieler Friedrich Donenfeld in der Nähe von Paris versteckt.
„Arische“ Spieler wie Sindelar und Karl Sesta dagegen wurden nach der Abschaffung des Profisystems mit arisierten Kaffeehäusern oder Bäckereien versorgt. Deren jüdische Vorbesitzer hatte man deportiert und ermordet. Als Meister der Improvisation entpuppte sich Binder, der dreifache Torschütze beim 4:3-Sieg Rapids über Schalke Westfalen beim Endspiel um die großdeutsche Meisterschaft 1941. „Um dem Kriegsdienst in Russland zu entgehen, hat sich mein Vater den gesunden Blinddarm herausoperieren lassen“, berichtet sein Sohn Franz Binder jun.
Am Tag des Endspiels um die deutsche Meisterschaft wurde ja die Sowjetunion vom „Dritten Reich“ überfallen. Binder wurde nach dem Titel wieder eingezogen und in der Folge an die Ostfront geschickt. Die Schalker Spieler, so erinnert sich sein Sohn, habe man damals nicht an die Ostfront geschickt. Auch für den jetzigen Präsidenten von Rapid, Alexander Wrabetz, ist deutlich, dass man sich im „Dritten Reich“ eher einen Sieg von Schalke im Endspiel um die deutsche Meisterschaft erwartet hätte.
Umgang mit der Geschichte: Vom Präsidium bis zur Fanszene
„Schalke“, so Wrabetz gegenüber ORF Topos, „hat ja Ähnlichkeiten mit Rapid. Auch Schalke ist ein Arbeiterfußballclub, und auch bei Schalke sind jene Spieler, die dem politischen System nicht passten, rasch entfernt worden.“ Eine besondere Widerstandshandlung in dem Sieg von Rapid, wie man das später gerne hineininterpretiert habe, könne man nicht sehen. Ihm sei wichtig, dass man gerade Brüche und Kontinuitäten bei Rapid vom Ständestaat hinein in die Nazi-Zeit betrachte. Und da gebe es für Rapid eben auch jene, die verfolgt und ermordet worden seien – und jene, die mitgelaufen seien.
Zentral ist das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Feld von Rapid, weist Wrabetz auf die Aufarbeitungsbemühungen zur NS-Zeit unter dem früheren Präsidenten Rudolf Edlinger hin. Jedes Jahr gedenke Rapid am Auschwitz-Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus, erinnert Wrabetz nicht zuletzt an die Rolle des Rapid-Namensgebers Wilhelm Goldschmidt, der 1942 von den Nazis deportiert und ermordet worden sei. Er selbst habe sich vorgenommen, historisch vor allem die Rolle von Rapid in der Zeit der Ständestaat-Diktatur anzuschauen.
Auch seitens der Rapid-Fankurve gibt es zum Meistertitel eine klare Meinung. Der Sieg von damals solle „die historische Anerkennung bekommen, die er verdient“, kann man seit 2016 bei den Rapid-Ultras lesen: „1941 konnte Rapid eine Meisterschaft gewinnen, die sich von allen anderen gewonnen Meistertiteln deutlich unterscheidet. Erstens herrschte Krieg, zweitens gab es keine österreichische Liga. Die österreichischen Vereine, die nicht aufgelöst bzw. verboten wurden, spielten im nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen um die deutsche Meisterschaft mit. […] Für uns ist klar, dass dieser große Erfolg die historische Anerkennung bekommen soll, die er verdient. Ebenso klar ist aber, dass man das nicht unkommentiert tun kann und viele Dinge, die in direktem Zusammenhang mit diesem großen Erfolg stehen, ebenfalls in Betracht ziehen muss. Wir dürfen all die Rapidler nicht vergessen, die von den Nazis verschleppt und ermordet wurden. Rapidler wie Wilhelm Goldschmidt, Namensgeber unseres Vereins, der Mann, wegen dem Rapid Rapid heißt, der in einem KZ sein Leben lassen musste. Oder Fritz Dünnmann, Rapid-Spieler, der in Ausschwitz starb.“
Martin Betz (Doku, Video), für ORF Topos, Robert Gokl (Video und Text), für ORF Topos, Gerald Heidegger (Text), ORF Topos, Max Meissl (Kamera), Peter Krieg (Schnitt), Elke Rittenschober (Schnitt), für ORF Topos
Links:
- Menschen und Mächte
- Rapid unterm Hakenkreuz (science.ORF.at)
- Domenico Jacono: Rapid, Deutscher Meister. Eine kritische Würdigung
- Historischer Hintergrund zum Versöhnungsspiel
- Austria Wien und der Nationalsozialismus
- Geschichte der Austria im Nationalsozialismus (science.ORF.at)
v1.0.4-production (04. April 2023, 12:05:59)
QELLE : ORF.AT