Im Dienst der Hardcore-Kaiserin
Im Dienst der Hardcore-Kaiserin teilenGeschichteKritikFilm
31. März 2023, 10:52 Uhr
Noch eine Sisi? Oh ja: Frauke Finsterwalders überspitzte Komödie „Sisi & ich“ schildert Kaiserin Elisabeth von Österreich aus dem Blickwinkel ihrer verliebten Hofdame Irma (Sandra Hüller). Ohne Rücksicht auf historische Details, dafür mit umso mehr Augenmerk aufs Zwischenmenschliche, ist diese Sisi ein grausamer, manipulativer und unwiderstehlich charmanter Superstar.Magdalena Miedl
„Und jetzt kommen die Sprünge.“ Als dieser Befehl kommt, ist Irma Gräfin Sztáray (Hüller) eigentlich schon fix und fertig, nach tagelanger Anreise mit Bahn und Boot von Wien nach Korfu. Viel zu warm ist sie gekleidet, viel zu eng ihre Schuhe. Doch die Kaiserin will sehen, wie fit ihre neue Hofdame ist. Also rennt Irma auf Geheiß des kaiserlichen Kammerdieners Runden, noch bevor sie einen Schluck Wasser bekommt, springt über Hürden, als wäre sie ein müdes Dressurpferd. Mangelnde Ergebenheit ist nämlich Kündigungsgrund im Job als Hofdame.
In lakonisch-drastischem Tonfall schildert „Sisi & ich“ die letzten Lebensjahre der Kaiserin Elisabeth, die damals der „größte Popstar ihrer Zeit“ war, wie Regisseurin Finsterwalder sagt. Zu Lebzeiten war die Kaiserin Projektionsfläche für die Massen, nach ihrem Ableben Anlass für Theaterstücke, Filme, Romane und Musicals. Bis in die Gegenwart ist sie so vertraut, dass man über sie auf Spitznamenbasis spricht, selbst das Sisi-Museum nutzt den Kosenamen als offizielle Bezeichnung.

In dieser Gemengelage, geprägt vor allem durch die „Sissi“-Trilogie von Ernst Marischka um die makellos niedliche Romy Schneider und ihr Leiden im schönbrunnergoldenen Käfig des Habsburger Hofzeremoniells, sind nun in den letzten Jahren einige Filme und Serien entstanden. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Figur des filigranen Mädchens in der Zwangsjacke eines Luxusambientes ewig fasziniert, von der Prinzessin auf der Erbse über Marilyn Monroe bis zu Diana Spencer.
Die vielen fiktiven Facetten der Kaiserin
Sisi-Fernsehserien, -Romane und -Filme feiern fröhliche Urständ, wobei nicht wenige einen dezidierten Gegenentwurf zum zerbrechlichen Klischee versuchen. Das gerät sehr unterschiedlich feministisch-progressiv, von der skandalös masturbierenden Teenagerin in der Serie „Sisi“ über Thomas Brezinas ermittelnde Kaiserin in „Sisis schöne Leichen“, Karen Duves akribisch recherchierten Roman „Sisi“ über die ältere Kaiserin als manische Reiterin und manipulative Arbeitgeberin bis hin zu Marie Kreutzers „Corsage“, wo schon der Titel die Enge ins Zentrum stellt und der Film am Beispiel der Kaiserin auch vom gesellschaftlichen Korsett der Jederfrau erzählt.
Nun also gibt es da noch eine Version der Kaiserin, in einem Film, den die Welt überraschenderweise tatsächlich gebraucht hat, und in dem die exzentrischen Selbstkasteiungsgewohnheiten der Kaiserin im Vordergrund stehen. Dieses neue Werk abgekoppelt von all den anderen royalen Prinzessinnen- und Kaiserinneninszenierungen der letzten Jahre zu sehen, etwa Pablo Larrains „Spencer“ und Dianas drastisch inszenierter Anorexie, ist unmöglich, „Sisi & ich“ ist nolens volens Teil einer Gesamterzählung.
Horror, Komödie und Ironie
Finsterwalder aber drehte ihren Film, ohne zunächst von „Corsage“ zu wissen. Dass er nun auch als eine Art Fortsetzung zu Kreutzers Film gelesen werden kann und beide Filme auf sehr unterschiedliche Weise zu einem ähnlichen Schluss kommen, macht die Sache zusätzlich reizvoll. Und dass in Finsterwalders Film genau jene Episode um eine Jagd in England prominent vorkommt, die im kollektiven österreichischen Gedächtnis wenig präsent ist, mit der aber Duves Sisi-Roman einsetzt und deren Kontext auch in „Corsage“ eine Rolle spielt, ist zumindest kurios.

„Sisi & ich“ zeigt die Kaiserin als erbarmungslose Frau in einer Drastik, wie es noch keiner der bisherigen Filme getan hat, in einem vor allem zu Beginn trügerisch sommerlichen Ambiente des Achilleion auf Korfu (gedreht wurde auf Malta und in der Villa Kattus in Wien), das Elisabeth sich als Refugium fern der Residenzstadt hat bauen lassen. Die Handlung ist immer aus dem Blickwinkel der Hofdame Irma geschildert, als frisch rekrutierter Begleiterin für die Kaiserin, heute würde man sagen, als „Personal Assistant“, die wehrlos der Anziehungskraft von Elisabeth verfällt.
Die Szenen ganz zu Beginn des Films, in denen Irma einem genauen Check unterzogen wird, sind hart an der Grenze zum Kabarett. Die unverheiratete Irma wird da von ihrer strengen Mutter in die Hofburg gebracht, ein kleiner Konflikt zwischen den beiden Frauen eskaliert zum Slapstick und endet mit einer blutigen Nase für Irma, und schon ist klar: Satirische Übertreibung ist diesem Film nicht fremd. Es ist genau jenes Schauspielgenre, in dem Hüller („Toni Erdmann“) immer ganz besonders glänzt, wie Finsterwalder ihr gegenüber ORF Topos attestiert: „Wie keine andere in Deutschland hat sie das Talent, Komödie und Horror zu verbinden, Ironie und auch etwas Kindliches. Ohne Sandra Hüller hätten wir diesen Film gar nicht drehen können.“
Liebe als pure Fantasie
Als Irma eintrifft auf Korfu, wo die Kaiserin ausschließlich in Gesellschaft anderer Frauen lebt, mit nur einem männlichen Diener (Stefan Kurt) in ihrer Entourage, mutet das Drumherum zunächst zwar nach Hippie-Kommune an. Der kaiserliche Umgang könnte aber kaum ausbeuterischer sein. Zwar holt Sisi Irma ganz in ihre Nähe, spielt sie gegen ihre bisherige Favoritin (Sophie Hutter) aus, schimpft mit ihr über den Kaiser (Markus Schleinzer) und holt sie zu Gelagen mit ihrem lebenslustigen Schwager Luziwuzi (Georg Friedrich), aber echte Freundschaft oder gar Liebe ist das Ganze höchstens in Irmas Fantasie.
Diese Elisabeth, die Susanne Wolff („Styx“) mit Charme und niederschmetternder Grausamkeit spielt, ist ein drastischer Gegenentwurf zur lieblichen Marischka-Sissi, deren wesentliche Motivation darin bestand, dass es allen gut geht. Eine erste Neuinterpretation der Figur war Romy Schneider selbst 1973 in Luchino Viscontis Kossalepos „Ludwig II.“ gelungen, wo sie ihre Kultrolle konterkarierte. Für Finsterwalder waren aber tatsächlich die „Sissi“-Filme Anlass für ihr Interesse an der Figur, wie sie sagt: „Als Teenager fand ich diese Filme ganz schrecklich, aber als ich sie jetzt wiedergesehen habe, fand ich sie eigentlich toll.“

Die ältere Sisi reizte Finsterwalder, „weil ich interessant fand, dass sie dann wirklich weg war von ihrem Mann und den Kindern. Es gibt ja Vorwürfe an Frauen, wenn sie sich nicht um die Familie kümmern, und ich fand faszinierend, dass ihr das egal war und dass sie sich am Ende ihres Lebens ziemlich befreit hat von allem, auch von Dingen, die man traditionell erwartet von einer Frau, der Ehe und so weiter.“
Die erfundene Hofdame
Die Perspektive der Hofdame Irma auf die Kaiserin, die im Film in ihrem Freiheitsdrang und ihren Launen gnadenlos ist, ist nur dem Namen nach historisch. Zwar hieß jene ungarische Hofdame, die die Kaiserin in ihren letzten Lebensjahren begleitete und auch bei dem tödlichen Attentat am 10. September 1898 anwesend war, tatsächlich Gräfin Sztáray, die Film-Irma aber sei „komplette Fiktion“, so Finsterwalder.
„Ich habe ihre Tagebücher gelesen, auch die der anderen Hofdamen. Ich fand all die Hochs und Tiefs bezeichnend, die die aushalten mussten.“ Die Beziehung dieser Frauen zur Kaiserin sei von großen Emotionen gekennzeichnet gewesen, „und das alles hab ich dann in eine Figur gestrickt, die ich Irma genannt habe. Mit der historischen Irma hat das aber wenig zu tun, die hatte beispielsweise ein sehr gutes Verhältnis zu ihrer Mutter.“
Sport, Drogen, Selbstkasteiung
Finsterwalder schrieb ihr Drehbuch gemeinsam mit ihrem Partner Christian Kracht, mit dem sie schon für ihr episodisches, lakonisch-verschmitztes Deutschland-Panorama „Finsterworld“ (2013) zusammengearbeitet hat. Kracht ist Autor von Romanen wie „Faserland“, „Eurotrash“ und auch „Imperium“, für den er sich mit dem Aussteiger August Engelhardt und dessen Kokosnuss-Kult befasst. Motive daraus, die extreme Selbstkasteiung etwa, finden sich in „Sisi & ich“ wieder, wenn Sisi von Irma nicht nur sportliche Ausdauer erwartet, sondern auch einfordert, dass sie wie die anderen Frauen ihres Hofsaates an Hungerkuren mit Abnehmdrogen teilnimmt.
Vieles in dieser Beziehung hat mit psychologischer Manipulation zu tun, ein sinngemäßes „Wenn du mich wirklich liebst, tust du das für mich“, das weit über das Verhältnis zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin hinausgeht. „In der Vorbereitung haben wir viel über Frauenbilder gesprochen und was eine Frau überhaupt sagen darf“, so Finsterwalder. „Es geht um physische und auch verbale Gewalt und auch um Essstörungen. Da gehört natürlich der Aspekt der Körperlichkeit dazu, wie Frauen ihren Körper wahrnehmen oder dieser auch von außen wahrgenommen wird und wie wir als Künstlerinnen damit umgehen.“01:45
Sandra Hüller: „Für mich war da eine Grenze erreicht“
Das sei auch in der Vorbereitung eine Gratwanderung gewesen, sagt Hüller im Interview gegenüber ORF Topos (siehe Video). Finsterwalder habe sie und Wolff gebeten, für die Rolle abzunehmen, „damit wir in die Kostüme passen“. Dabei tragen die beiden Figuren in nur wenigen Szenen Korsetts, viele der Kleider von Kostümbildnerin Tanja Hausner wirken anachronistisch fließend und frei. Womöglich hätte es die Ansage gar nicht gebraucht, die die beiden Schauspielerinnen so in Sorge versetzte. „Es ist psychologisch total interessant, was durch diese Ansage entstanden ist“, so Hüller. „Dieses Thema hat dann die ganze Arbeit bestimmt. Das ging schon sehr ins Private rein.“
Anachronismen als Schlüssel zur Wahrheit
Die Anachronismen im Film sind nicht nur an der Mode festzumachen. Finsterwalder nutzt auch Musik als bewussten historischen Stilbruch, ausschließlich Stücke weiblicher Interpretinnen, von TripHop bis Punk. Einen ähnlichen Kunstgriff haben schon andere Biopics berühmter Personen in den letzten Jahren angewandt, von Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ über Susanna Nicchiarellis „Miss Marx“ bis, erneut, „Corsage“.
Neu ist aber tatsächlich, diese oft porträtierte Kaiserin aus dem Blickwinkel einer Frau zu zeigen, die ihr auf eine Weise zugetan ist, so volatil, innig, körperlich und von Eifersucht geprägt, wie es sonst wohl nur unter 13-jährigen Mädchen und sehr verliebten Menschen vorkommt. Im Film kollidiert das mit den Anforderungen eines rigiden Hofzeremoniells, das Ergebnis ist dramatisch.
Geschlechterrollen sind bei Finsterwalder ein Thema von vorgestern, Männer großteils bloße Stichwortgeber und Statisten. Die Regisseurin geht auf der Leinwand vollends unbekümmert mit dem um, was der historische Rahmen vorgibt, interpretiert um, setzt neu zusammen – und schafft gerade dadurch ein Bild, das aufschlussreich von der Welt erzählt.
Magdalena Miedl (Text, Gestaltung), ORF Topos, Kimquin Bahian (Schnitt), für ORF Topos
Link:
Sisi & ich (ÖFI)v1.0.4-production (04. April 2023, 12:05:59)
QELLE : ORF.AT