Emil und die Drogenhändler
Emil und die Drogenhändler teilenJugendKritikFilm
05. März 2023, 06:00 Uhr
Die Verfilmung des Bestsellers „Sonne und Beton“ führt zurück ins Jahr 2003 nach Berlin-Gropiusstadt – zu einer ausgelassenen Jugend voll Gewalt, Drogen und guter Laune. Regisseur David Wnendt macht aus dem Ghettokrimi einen Film, dem die Nostalgie die Zähne zieht.Magdalena Miedl
Früher war fix nicht alles besser. 2003 hatten die Handys noch keine ordentliche Kamera, die Schulen waren genauso desolat wie heute. Die Gewaltbereitschaft junger Burschen in den Vorstädten und in jenen Berliner Bezirken, die nicht von Gentrifizierung verteuert werden, war damals schon Dauerthema in den Medien. 2003 war Felix Lobrecht, heute ist er bekannt als Autor, Podcaster und Stand-up-Comedian, noch Teenager.
Geboren wurde er 1990, aufgewachsen ist er in einem Wohnblock in Gropiusstadt in Berlin Neukölln, jenem Stadtteil, der seit den späten 1970er Jahren berüchtigt ist für seine verwahrlosten Wohnsiedlungen und die drogensüchtigen Jugendlichen. Berühmteste Tochter der Gegend ist Christiane F., ihre Kindheitserinnerungen sind „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.
Echt wahr oder zumindest fast
Lobrecht kann es inzwischen mit ihr an Berühmtheit fast aufnehmen, nicht nur für seine Comedy-Programme mit derber Berliner Schnauze, sondern auch für seinen halb autobiografischen Debütroman, der nun verfilmt wurde: „Sonne und Beton“ handelt von einer Zeit vor 20 Jahren, im Film historisch verortet durch die klobigen Wertkartenhandys, durch derben Hip-Hop wie Sidos „Arschficksong“ und durch die fehlende Dauerpräsenz von Onlineplattformen. Damals gingen die jungen Leute noch an die frische Luft – aber besonders gut hat ihnen das trotzdem nicht getan.

Regisseur Wnendt erzählt im Interview mit Topos, er habe sich in dem Roman wiedergefunden, „weil er so gut darstellt, wie das Leben als Junge mit 14 ist“ (siehe Video). Lobrecht sagt über sein Buch, es beruhe auf seinem Leben, viele Dinge seien aber auch Freunden passiert.
So wirklich für bare Münze ist das Ganze jedenfalls nicht zu nehmen, darauf deutet schon der Eingangssatz hin. „Es war alles genau so“, damit beginnt Wnendts Film, „vielleicht aber auch nicht.“ Protagonist ist der 14-jährige Lukas, mittlerer Sohn eines alleinerziehenden und arbeitslosen Vaters. Die Mutter ist an Krebs gestorben, der ältere Bruder Kleinkrimineller, von Lukas grenzenlos bewundert.
Fast wichtiger als die Familie sind Lukas’ Freunde Julius, Gino und Sanchez. Lukas ist eigentlich ein heller Kopf, einziger Deutscher in der Klasse und deswegen unangenehmerweise auch Lehrerliebling. Wegen seines eigenen Zorns, der Schnapsideen seiner Freunde und der desolaten Schulsituation landet er aber immer wieder in sehr finsteren Situationen – nicht selten unschuldig.
Gibst du 500 Euro!
Schülerausweis vergessen? Ohne Ausweiskontrolle gibt’s keinen Zugang, also führt am Schuleschwänzen kein Weg vorbei – und so beginnt ein Tag, der in den Abgrund führt. Denn klar, Kiffen klingt zunächst nach einem lauschigen Gedanken für einen Sommertag, und wie Julius weiß, sind dann die Mädels auch gleich viel interessierter, Julius kennt sich da aus. Nur, dass „die Mädels“, die sehr oft erwähnt werden, im ganzen Film sehr wenig vorkommen, höchstens als Sehnsuchtsfiguren.
Julius beginnt jedenfalls im Park einen Streit mit der „Araber-Dealergang“, Lukas kassiert ein paar Volltreffer ins Gesicht, pardon, „Bombe in die Fresse“. Die rivalisierende türkische Drogendealergang greift ein, und am Ende verlangt ein Schlägertyp von Lukas 500 Euro für irgendwelche fiktiven Verluste bei irgendwelchen angeblichen Geschäften. Doch wie an Geld kommen? Gino hat da eine sensationelle Idee: Die brandneuen Schulcomputer, erst gestern geliefert, müssten doch auf dem Schwarzmarkt ein Vermögen wert sein.

Die Clownerie des Computerdiebstahls, die Wortgefechte und Blödeleien, der atemlose Übermut sind die sonnige Seite des Films. Im Leben der jungen Burschen gibt’s aber auch jede Menge metaphorischen Beton, Julius’ gewalttätigen, drogensüchtigen Bruder und dessen Freunde etwa, Ginos Vater, der Frau und Sohn im Suff halb bewusstlos prügelt.
Der Klügere gibt nach? Der Klügere tritt nach!
Rat von Lukas’ älterem Bruder Marco
Immer wieder sind es die Erwachsenen, die die Buben vor unlösbare Situationen stellen, und ein großer Bruder wie Marco (gespielt von Rapper Luvre47) und seine Ratschläge fürs Leben sind nicht wirklich eine Hilfe.
Emil und die Drogendealer
Ein wenig erinnert „Sonne und Beton“ da an Erich-Kästner-Erzählungen, auch „Emil und die Detektive“ erlebten keine behütete Kindheit, sondern wurden auf den Straßen Berlins allein gelassen und mussten sich selbst helfen. Die Probleme, vor denen vor allem Gino in seiner Familie steht, sind zwar ungleich größer als ein geklauter Geldschein, die Ernsthaftigkeit, mit der die Freunde einander zu helfen versuchen, ist aber dieselbe wie damals.
Vielleicht ist die Kästner-Assoziation auch Wnendts Regie geschuldet, die dem Film trotz aller Härte einen allzu nostalgisch goldenen Filter überstülpt. Dabei ist Wnendt sonst einer, der mit harten, kontroversiellen Stoffen umzugehen versteht: Sein Langfilmdebüt war das Neonazi-Drama „Kriegerin“ (2011) über eine junge Frau in einer ostdeutschen Kleinstadt, die sich durch Antisemitismus und Rassismus definiert, ein Film über die brutale Zeit nach der Wende, die von Zeitzeugen mit gutem Grund als „Baseballschlägerjahre“ bezeichnet wird.

Wnendts Nachfolgeprojekte waren nicht weniger spannend, wurden aber zunehmend bürgerlich. Er verfilmte Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ und Timur Vermes’ Hitler-Satire „Er ist wieder da“. Danach gab es Fernsehprojekte, eine Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ musste er an Fatih Akin abtreten, 2019 verfilmte er Rebecca Dinerstein Knights Roman „The Sunlight Night“ über eine junge Künstlerin auf Atelieraufenthalt in Island.
„Sonne und Beton“ ist im Vergleich dazu wieder Punk, zumindest vom Was-kostet-die-Welt-Auftreten seiner vier chaotischen Helden her. Letztlich ist Wnendts Adaption aber auch eine Illustration von Feuilletondebatten über eskalierende Schulklassen und abgehängte Kids, die Bildung nicht als Chance, sondern als sinnloses Beschäftigungsangebot verständnisloser Erwachsener verstehen. Der Film ist deswegen nicht weniger pointiert, etwas mehr Wagnis und Wildheit hätte Lobrechts Vorlage aber vertragen.
Magdalena Miedl (Text, Gestaltung), ORF Topos, Manfred Kotzurek (Kamera), Sarah Goldschmidt (Schnitt), beide für ORF Topos
Links:
- Sonne und Beton (Buch)
- Sonne und Beton (Film)
- Hörbuch zu Sonne und Beton gelesen von Felix Lobrecht (Youtube)
v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)
QELLE : ORF.AT TOPOS