Serie „Der Schwarm“

Die Tiefsee sinnt auf Rache

Die Tiefsee sinnt auf Rache teilenKritikFilmNatur

06. März 2023, 12:09 Uhr

Aggrokrabben, Flutwellen und mutierte Meereswürmer: Vor fast 20 Jahren lehrte Bestsellerautor Frank Schätzing mit seinem Science-Fiction-Roman „Der Schwarm“ sein Publikum Respekt vor den Ozeanen. Der gleichnamige TV-Achtteiler mit österreichischer Beteiligung greift vieles davon auf. Der Moment dafür könnte nicht besser passen.Magdalena Miedl

„Wir haben keine Zeit, vorsichtig zu handeln!“, schreit die Meeresbiologin und Doktorandin Charlie (gespielt von Leonie Benesch) ihre Professorin (Barbara Sukowa) an. Dabei hat diese nur Bedenken angemeldet, die These einer die Menschheit gefährdenden Bedrohung sei doch zu steil, man möge bitte mit Bedacht agieren. Nicht zufällig klingt Charlie in diesem Moment wie eine Aktivistin der „Letzten Generation“, wie überhaupt die ganze „Schwarm“-Saga eine große Umweltzerstörungs- und Klimakatastrophen-Parabel ist.

Vieles in der Serie wirkt wie die Bebilderung aktueller Nachrichten, seien es Überschwemmungen, gestrandete Wale oder Scharen von Quallen an der Adria. Dabei ist der Stoff ganz und gar nicht neu. 2004 legte Schätzing, Bestsellerautor mit Wurzeln in der Werbebranche, seinen bisher größten Erfolg vor: In „Der Schwarm“ schildert er auf fast tausend Seiten, wie Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt seltsames Verhalten bei Walen, Eiswürmern, Krabben und anderen Spezies aus dem Meer beobachten.

Ein bleicher Wurm auf einer Objektplatte, mit einer Pinzette festgehalten, offenbar im Labor
Wehr dich doch! Aggroeiswurm im Rampenlicht

Nach und nach wird deutlich, dass das Verhalten der Tiere in Zusammenhang steht, und tatsächlich eine unbekannte Schwarmintelligenz aus den Ozeanen einen Krieg gegen die Menschheit zu entfesseln beginnt.

Frutti di Mare auf dem Kriegspfad

Ob der Krieg eine Aggression oder vielmehr eine dringend notwendige Verteidigung ist, ist eine der ethischen Fragen, die das Buch aufwirft. Die Protagonistinnen und Protagonisten sind nicht viel mehr als Stellvertreter für bestimmte Positionen, die auch etwas emotionale Fallhöhe mitbringen, um zu verdeutlichen, dass vor allem Regungen wie Liebe und Solidarität es wert sind, dass diese Menschheit vielleicht doch noch ein paar Generationen weiterleben darf.

Sendungshinweis
Die ersten beiden Folgen der mit dem ORF koproduzierten achtteiligen Serie „Der Schwarm“ sind am Montag ab 20.15 Uhr in ORF1 zu sehen.
Die Doku „Die Rache der Ozeane“ läuft im Anschluss um 21.55 Uhr in ORF1 und erklärt die wissenschaftlichen Hintergründe zur Serie.

Fast 20 Jahre nach dem Erscheinen des Romans sind einige dieser Fragen längst keine Science Fiction mehr. Ein kurzer Rückblick in die Nachrichten der vergangenen Monate und Jahre macht das deutlich, und dass Schätzings jüngstes Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“ (2021) kein Roman mehr, sondern ein Sachbuch ist, wirkt wie eine logische Fortsetzung.

Längst ist also der richtige Zeitpunkt für eine massentaugliche Adaption des Stoffs im Serienformat. „Game of Thrones“-Showrunner Frank Doelger hat das Projekt unter seine Fittiche genommen, die Geldgeber kommen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Österreich, Schweden und der Schweiz, in Zusammenarbeit mit Schätzing teilte Doelger den Roman auf acht Teile auf.

Plantschen im Tank

Regie führten bei den ersten beiden Folgen der Brite Luke Watson („Britannia“), Episode drei bis sechs inszenierte die österreichische Regisseurin Barbara Eder („CopStories“), die beiden letzten Folgen verantwortete Philip Stölzl („Schachnovelle“). Es ist nicht der erste Versuch, den Stoff zu verfilmen, schon 2006 sprach Schätzing in Interviews über Anfragen aus Hollywood, Uma Thurman wurde als Produzentin und eine der Hauptdarstellerinnen genannt, das Projekt scheiterte jedoch.

Nun ist es eine Serie im Event-TV-Format geworden, mit einem 40-Millionen-Euro-Budget. Doch auch das war nicht zwingend, so Eder im Gespräch mit Topos (siehe Video): „Du könntest aus dem Schwarm verschiedenste Versionen machen, du könntest sogar einem Experimental- oder Kunstfilm machen.“ Geworden ist es das Gegenteil: viele ruhige Bilder monumentaler Meer- und Küstenlandschaften, dann wieder Unterwasserszenen, im Studiotank gefilmt.

Zwei Männer betrachten besorgt einen Computerbildschirm
Wenig Action: Männer, die auf Bildschirme starren (Alexander Karim, Oliver Masucci)

Vor allem die Folgen von Watson nehmen deutliche Horroranleihen, von „Der weiße Hai“ bei der Inszenierung aggressiver Orcas, die ihrem altmodischen Namen „Killerwale“ alle Ehre machen, bis zu „Alien“ angesichts unappetitlicher Schalentiere. Diese trashigen Momente sind die, in denen die Serie den größten Spaß macht. Wo es hakt, sind die Figuren, deren Entwicklung flach bleibt.

Walforscher und Bildschirmarbeiter

Da ist etwa die französische Molekularbiologin Cécile Roche (Cécile de France), deren Schicksal bei der Entdeckung eines tödlichen Bakteriums im Trinkwasser durch ihre halbwüchsigen Kinder etwas an Fallhöhe gewinnt. Da ist auch der norwegische Gutachter Sigur Johanson (Alexander Karim), der in seine Kollegin Tina Lund (Krista Kosonen) verliebt ist, und mit ihr gemeinsam die Eiswurminvasion entdeckt.

Dann ist da noch die junge deutsche Doktorandin Charlie, die auf einer der Shetland-Inseln einsam auf einer Forschungsstation sitzt und sich mit einem hübschen Fischer anfreundet. Spannendste Figur ist der kanadische Walforscher Leon Anawak (Joshua Odjick), gespalten zwischen seiner First-Nation-Herkunft und der Aufgabe, das seltsam aggressive Verhalten der Wale analytisch zu erklären.

Panorama über Venedig, der Canal Grande voller Quallen
Idyll mit Untiefen: Venedigs Schönheit ist in Gefahr

Das Personal der Serie ist umfangreich und prominent besetzt, aus Österreich ist etwa Franziska Weisz als Ärztin an Bord, aus Deutschland Oliver Masucci und Klaas Heufer-Umlauf, doch die meisten von ihnen bekommen nicht viel zu tun. Menschen starren mit gerunzelter Stirn auf Bildschirme, auf denen unterschiedliche graugrüne Formationen zu sehen sind, ein Lichtschein, Graphen von Ton- und Lichtfrequenzen, doch die Bedeutung davon erschließt sich erst im nachfolgenden Dialog.

Ein Mann unter Wasser, in einem Strudel von Fischen

Die Vorteile von Schwarmintelligenz
In „Der Schwarm“ handelt es sich um Fiktion – aber zugrunde liegt die Idee der Schwarmintelligenz. Warum bestimmte Lebewesen im Schwarm besser überleben können, erklärt ein Experte in https://science.orf.at/stories/3217977/.

Ungerechter „Pilcher“-Vorwurf

Für das, was unter Wasser geschieht, finden die Serienmacher oft keine Bilder, und auch für die zwischenmenschlichen Fragen nur gelegentlich. Schätzing selbst war ebenfalls nicht begeistert, wie er im Interview mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte. „Es pilchert mehr, als es schwärmt“ ist die plakative Kurzanalyse, mit der er allerorts zitiert wird. Das wiederum ist ungerecht, schließlich ist schon Schätzings Vorlage auch nicht ganz frei von gefühligen Schilderungen und oberflächlichen Beziehungskisten.

Die Verfilmung wird dem Buch also durchaus gerecht, auch wenn einiges neu erfunden wurde. Misslungen ist „Der Schwarm“ durchaus nicht, wenn auch nicht so aus einem Guss wie von vergleichbaren Miniserien gewohnt. Je nachdem, wie es läuft, gibt es auch die Option einer Fortsetzung, wie Eder im Topos-Interview sagt: „Am Ende ist sowas wie ein Türchen geöffnet, das es möglich macht, dass es weitergeht. Aber mehr darf ich ja nicht verraten.“

Magdalena Miedl (Text und Gestaltung), ORF Topos, Laura Russo (Schnitt), für ORF Topos

Sendungshinweis: ZIB1, 5.3.2023

Links:

v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)

QELLE : ORF.AT TOPOS

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