Kampf um werbefreie Städte
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11. März 2023, 06:00 Uhr
Seit Jahren setzen sich Initiativen in verschiedenen Städten für ein Verbot von Werbung im öffentlichen Raum ein. Damit soll ein Schritt gegen Kommerzialisierung und für mehr Klimaschutz gesetzt werden. In Genf wurde kürzlich eine entsprechende Initiative mit einem knappen Nein abgelehnt. Was Werbung mit Städten macht, erklärt die Stadtforscherin Sabine Knierbein am Beispiel von Wien (siehe Video).Lena Hager
Werbeplakate würden den Konsum fördern und können zu Verschuldung beitragen, so die Argumentation der Genfer Initiative „Zéro Pub“ (dt.: „Keine Werbung“), die von verschiedenen Gruppierungen, Vereinen und Parteien unterstützt wird. „Werbung im öffentlichen Raum durch Plakatwände zuzulassen bedeutet, dem Staat zu erlauben, unsere Aufmerksamkeit gegen Geld zu vermieten, obwohl unsere Aufmerksamkeit eines unserer privatesten, wertvollsten und begehrtesten Güter in der heutigen Zeit ist“, so die Initiative gegenüber ORF Topos.
Im März 2023 kam es zu einer Abstimmung durch die Genfer Stadtbevölkerung, die ein knappes Nein hervorbrachte. 51,9 Prozent der Stimmen sprach sich gegen ein Verbot aus, die Wahlbeteiligung betrug 34,5 Prozent. Laut „Zéro Pub“ fehlten 1.700 Stimmen für eine Annahme des Verbots. „Fast die Hälfte der Wählerschaft will das nicht. Dies wird bei der Umsetzung der Verordnung berücksichtigt werden müssen.“
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Fassadenwerbung an Baugerüst
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Stadt neu denken: Sozial und ökologisch
Ihren Ausgangspunkt nahm „Zéro Pub“ im Jahr 2017, als der Vertrag der Stadt Genf mit einer Außenwerbefirma auslief und ein neuer noch nicht in Kraft war, weshalb die Plakatflächen für einige Wochen weiß blieben. Die Genferinnen und Genfer nutzten die Flächen für kreative Zeichnungen und Kunstwerke, der Startschuss für die Idee einer werbefreien Stadt war gefallen. „Die Befreiung des öffentlichen Raums von kommerziellem Druck ist ein wichtiger Fortschritt für die Bewegung hin zu einem sozialen und ökologischen Übergang. Es ist auch ein wichtiger Schritt zur effektiven Umsetzung unserer kulturellen Rechte.“
Wer hat das Recht, den öffentlichen Raum wie zu nutzen, und wer entscheidet darüber? Das sei generell eine große Debatte, nicht nur in Bezug auf das Thema Werbung, erklärt Kerstin Krellenberg, Professorin für Urban Studies an der Universität Wien. Natürlich könne durch Einzelinitiativen etwas in Bewegung geraten, aber letztendlich brauche es das grundsätzliche Umdenken im Bereich der Stadtentwicklung, so Krellenberg. „Man muss die Stadt neu denken, und da gehört auch viel Mut dazu.“View this post on Instagram
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Werbung nur noch für den guten Zweck
Dabei seien Partizipationsmöglichkeiten enorm wichtig. Einzelpersonen und Gruppen sollen sich ernst genommen fühlen und mitgestalten können. Solche Prozesse seien oft aufwendig, es brauche ein permanentes Aushandeln, erläutert Krellenberg. Mit Multifunktionalität könne man in einigen Fällen unterschiedliche Interessen zusammenbringen, wie etwa in einer Parkanlage, in der es unterschiedliche Bereiche – eine Ruhezone, einen Spielplatz und eine Hundewiese – geben kann.
Das Verbot in Genf hätte sich auf kommerzielle Werbeplakate und Werbedisplays im öffentlichen Raum bezogen. Werbung auf privaten Grundstücken wäre davon ebenfalls betroffen gewesen, wenn diese von öffentlichem Grund aus sichtbar ist. Ausgenommen wäre Werbung für Kultur, Sport- und Bildungsangebote sowie für karitative Zwecke. Durch die freiwerdenden Flächen sollte einerseits der Fußgängerverkehr– insbesondere für Menschen mit Behinderung – erleichtert und übersichtlicher werden. Andererseits hätte man die Flächen zur Begrünung genutzt, so die Pläne von „Zéro Pub“.
Grenoble als europäischer Vorreiter
Mit ihrem Anliegen ist die Genfer Initiative nicht allein. In Bristol, Hamburg, Zürich, Basel und Canberra gibt es laut „Zéro Pub“ ähnliche Initiativen, die insbesondere auch Leuchttafeln betreffen. In Grenoble gilt bereits seit 2015 ein Verbot von kommerzieller Außenwerbung im öffentlichen Bereich – damit ist die französische Stadt die erste in Europa, die solch ein Verbot beschloss. Über 300 Werbeanlagen wurden entfernt und neu gewonnener Platz zur Begrünung genutzt.
Auch die Initiative „Berlin werbefrei“ streicht hervor, dass die Reduktion von Außenwerbung eine kostengünstige und nachhaltige Investition in den Umwelt- und Klimaschutz darstelle und Städte lebenswerter mache. Denn Werbeanlagen seien für diverse Probleme verantwortlich. Sie haben einen hohen Energiebedarf, lenken im Straßenverkehr ab und sorgen für Lichtverschmutzung. Es sei wichtig, dass die Frage nach Außenwerbung neu verhandelt wird, so Initiator Fadi El-Ghazi gegenüber ORF Topos.
Die Frage nach dem Geld
„Dass der Staat unsere Aufmerksamkeit für einen Betrag vermietet, der zudem noch lächerlich gering ist, macht die Sache nur noch schlimmer“, meint „Zéro Pub“ und spricht damit einen zentralen Punkt an, den die Kritikerinnen und Kritiker solch eines Verbots – etwa die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände der Romandie und Genf – hervorstreichen. Denn die Kommunen verdienen mit der Vermietung von Werbeflächen Geld. Neben den finanziellen Einbußen für die Stadt sehen die Gegenstimmen der Genfer Initiative ein Verbot als Angriff auf die Handelsfreiheit und sprechen von Zensur.
Auch in Grenoble waren im Zuge der Umsetzung des Verbots im Jahr 2015 die finanziellen Verluste ein Thema. Laut Bürgermeister Eric Piolle betrugen diese jedoch nur 0,1 bis 0,2 % des Haushaltsbudgets. Die größten Gewinne würden die Out-of-Home-Medienunternehmen machen, erklärt Sabine Knierbein, Professorin für Stadtkultur und öffentlichen Raum. Seit den 1990er Jahren habe sich hier ein globales Modell entwickelt, das Stadtmobiliar (etwa öffentliche WCs oder Wartehäuschen) mit Außenwerbung verbindet (siehe Video).
UNO-Sonderberichterstatterin besorgt
Im Jahr 2014 veröffentlichte die UNO-Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, Farida Shaheed, einen Report, der sich mit der Auswirkung von Werbung und Marketing beschäftigt. Darin äußerte sie Bedenken hinsichtlich der zunehmenden Vermischung kommerzieller Werbung mit anderen Inhalten – vor allem Kultur und Bildung betreffend – und zu „der unverhältnismäßigen Präsenz kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum, der hohen Anzahl täglicher Reklamebotschaften, ferner ihre Verbreitung mittels technischer Anwendungen in offener oder versteckter Form und den damit verbundenen Möglichkeiten, individuelle Entscheidungen zu manipulieren.“
Staaten stünden gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern in der Verantwortung, sie vor einem Übermaß an kommerzieller Werbung zu schützen und nichtkommerzielle Meinungsäußerung zu fördern, so der Bericht, der als Grundlage für den Gesetzesentwurf von „Berlin werbefrei“ dient. In einer Stellungnahme gegenüber ORF Topos skizziert Initiator Fadi El-Ghazi die weitere Vorgehensweise: Äußert der Senat keine Bedenken zum Gesetzesentwurf, würde dieser im Abgeordnetenhaus von Berlin beraten werden. Wird der Entwurf dort nicht angenommen, will die Initiative ein Volksbegehren und in weiterer Folge einen Volksentscheid durchführen. Inwieweit der knappe Ausgang in Genf Signalwirkung auf andere Städte wie Berlin hat, bleibt abzuwarten.
Lena Hager (Text und Gestaltung), ORF Topos, Marco Tondolo (Kamera), für ORF Topos, Kafeela Adegbite (Schnitt), für ORF Topos
Links:
Zéro Pub
Berlin werbefrei
UNO-Report über Werbung und Marketingv1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)
QELLE : ORF.AT TOPOS