Fehlende Standards

Periodenprodukte bergen Risiko

Periodenprodukte bergen Risiko teilenGesundheitKonsumentenschutzWissenschaft

23. Februar 2023, 11:31 Uhr

Binden und Tampons sind nach wie vor die beliebtesten Periodenprodukte. Menstruationstassen und -unterwäsche werden aber immer populärer – und haben eine kleine Revolution ausgelöst (siehe Video). Doch egal ob Einweg- oder Mehrwegprodukte: Ihre Sicherheitsstandards sind in Europa kaum reguliert und liegen auf dem Niveau von Taschentüchern. Ein neues Forschungsprojekt von Chemikerinnen in Wien will das nun ändern und für mehr Sicherheit sorgen.Lukas Wieselberg

„Taschentücher und Periodenprodukte sind beide gesetzlich ähnlich reguliert, auch die Empfehlungen für sie sind sehr ähnlich“, sagt Elisabeth Mertl vom Österreichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) in Wien. „Dabei haben Taschentücher nur ein paar Sekunden Kontakt mit der Nase, Menstruationsprodukte hingegen tagelang mit den vaginalen Schleimhäuten.“ Das gesundheitliche Risiko sei also ein ungleich größeres, so die Biotechnologin.

Dennoch gelten Menstruationsartikel in den meisten europäischen Ländern nicht als medizinisches Produkt, im Gegensatz etwa zu den USA. Das hat zur Folge, dass es dort strengere Sicherheitsstandards gibt – und damit auch mehr geforscht werden muss, etwa zur Keimbelastung und zur Veränderung des Materials von Mehrwegprodukten im Laufe der Zeit.

Fehlende gesetzliche Standards

In Österreich stehen Periodenprodukte im Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz und gelten als „Gegenstände, die bestimmungsgemäß äußerlich mit dem menschlichen Körper oder den Schleimhäuten in Berührung kommen“. Im Lebensmittelhandbuch (!) sind zwar mikrobiologische und chemische Standards definiert – etwa Grenzwerte für bestimmte Keime – dabei handelt es sich aber um keine gesetzlichen Anforderungen, wie es von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) heißt.

Das bedeutet konkret: Menstruationsartikel, deren Keimbelastung über den Grenzwerten liegt, sind nur schwer vom Markt zu nehmen. Zuständig für die Kontrolle ist die AGES, die auf Wunsch der Lebensmittelaufsicht Proben bewerten kann.

Menstruationstassen in verschiedenen Größen, Formen und Farben
Menstruationstassen werden immer beliebter

In Schwerpunktaktionen hat die AGES das zuletzt zweimal getan: Bei 33 Tampons, Binden und Slipeinlagen wurde 2020 österreichweit nur ein Artikel beanstandet, dieser wies eine zwar nicht gesundheitsschädliche, aber deutlich überhöhte Keimbelastung auf. Bei einer Überprüfung von 23 Menstruationstassen beanstandete die AGES 2021 gleich sechs davon, in einem Fall fand sie (gesundheitlich nicht bedenkliche) Weichmacher, in den restlichen Fällen waren die Nutzungsanleitungen mangelhaft.

Lange Tabu und Männerdomäne

Das heißt auch: Nach allem, was bekannt ist, sind Menstruationsartikel in Österreich mehr oder weniger sicher. Aber: Es ist eben nicht alles bekannt. Da es keine gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsstandards und auch keine EU-weite Regulierung gibt, wurde dazu bisher auch relativ wenig geforscht. Das liege zum einen daran, dass es lange ein Tabu war, über die Periode zu reden, und die Forschung sehr lange männerdominiert war, meint OFI-Biotechnologin Mertl (siehe zweites Video). „Zum anderen suggeriert uns die Werbung, dass Menstruationsprodukte sicher sind. Da geht es aber meistens um den Auslaufschutz – dass es also sicher ist, wenn man eine weiße Hose anziehen will. Das hat aber nichts mit gesundheitlicher Sicherheit zu tun.“

Um diese Sicherheitsaspekte zu untersuchen, brauche es grundlegende Analyseverfahren – und viele davon fehlen, sagt die Biotechnologin. Mit ihrem Team arbeitet sie deshalb seit Kurzem im Forschungsprojekt LEIFS („Let it flow safely“) an Methoden, um den toxikologischen und mikrobiologischen Eigenschaften der Periodenprodukte besser nachgehen zu können – etwa was das Potenzial von allergischen Reaktionen oder Infektionen betrifft. Eine relativ bekannte Folge ist das Toxische Schocksyndrom: ein schweres Kreislaufversagen, das in seltenen Fällen durch eine bakterielle Infektion verursacht werden kann, ausgelöst etwa durch Tampons.02:39

Die Chemikerin Elisabeth Mertl (OFI) spricht über die Forschung zu Menstruationsprodukten

Simulation des Körpers im Labor

In ihrem Labor simuliert Mertl deshalb etwa das Blut und die Menstruationsflüssigkeit von Frauen und untersucht, wie diese auf die Bestandteile von Tampons, Binden und Co. reagieren. Bei Mehrwegprodukten wie Menstruationstassen oder Periodenunterwäsche geht es neben dem Material auch um die ideale Reinigung. „Natürlich muss ich die Produkte reinigen. Aber wenn ich das länger mache, verändert sich das Material – und dadurch verändern sich auch seine gesundheitsrelevanten Eigenschaften“, sagt Mertl. Zwar empfehlen viele Herstellerinnen und Hersteller eine maximale Tragedauer, worauf diese Empfehlungen beruhen, sei aber unklar.

Für all diese Aspekte möchten Mertl und ihr Team Grundlagen erarbeiten. Zum Schluss soll eine Art Teststrategie stehen, die eine systematische Sicherheitsbewertung von Menstruationsprodukten ermöglicht. „Und zwar, wenn man träumen darf, auf internationaler Ebene“, sagt Mertl. In der Internationalen Organisation für Normung (ISO) gebe es, spät aber doch, mittlerweile eine Gruppe, die sich mit dem Thema auseinandersetzt.

Mertl ist Teil dieser Gruppe und möchte ihre Forschungsergebnisse in zukünftige internationale ISO-Normen einfließen lassen. Bis dahin ist sie zwiegespalten – einerseits „als Frau verärgert, dass bis jetzt so wenig zu dem Thema geforscht wurde, als Wissenschaftlerin andererseits erfreut darüber, wie viel es da noch zu entdecken gibt“.

Das OFI ist Teil des Forschungsnetzwerks ACR, an der Forschung zu den Menstruationsartikeln beteiligen sich auch die Lebensmittelversuchsanstalt und das Industriewissenschaftliche Institut.

Lukas Wieselberg (Text und Gestaltung), science.ORF.at, Anette König (Kamera), für ORF Topos, Marlene Mayer (Schnitt), für ORF Topos

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QELLE : ORF.AT TOPOS

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