Neues Miley-Cyrus-Album

Melancholie trifft Selbstliebe

Melancholie trifft Selbstliebe teilenKritikKulturMusik

10. März 2023, 13:10 Uhr

Zehn Jahre ist es her, dass Miley Cyrus, einst belächeltes Teenie-Idol, ihren skandalumrankten Nummer-eins-Hit „Wrecking Ball“ veröffentlicht hat. Mit ihrem neuen Studioalbum „Endless Summer Vacation“ ist Cyrus nun dort angelangt, wo sie musikalisch schon immer hinwollte. Das als „sehr persönliches Werk“ und „Liebeserklärung an Los Angeles“ angekündigte Album erzählt von Melancholie, Selbstreflexion und einem Hauch Rachegelüste. Und zeigt einmal mehr, wie wandlungsfähig Cyrus ist.Paula Pfoser

Mit Hochspannung und obligatorischem Brimborium war „Endless Summer Vacation“ erwartet worden – „es hat sich ausgezahlt“, so gibt sich ORF-Musikredakteur Didi Petschl in einer ersten Reaktion zu Cyrus’ achtem Studioalbum begeistert (siehe eingehängtes Audio). Schon im Jänner war die erste und einzige vorgezogene Single „Flowers“ eingeschlagen wie zuvor nur Cyrus’ großer Durchbruchshit „Wrecking Ball“ (2013).

Der Song, der mit unzähligen Anspielungen die zehnjährige Ex-On-Off-Beziehung zu Schauspieler Liam Hemsworth verarbeitet, wurde zum Überraschungshit, auf Spotify sprengte „Flowers“ den Rekord des meistgestreamten Songs innerhalb einer Woche. Gefeiert wurde das Lied mit Anleihen von Gloria Gaynors „I Will Survive“ als ultimative Ode an die Selbstliebe und zugleich als „Revenge-Song“, also Rachesong. Einige sahen „Flowers“ sogar als Beweis für die Neubelebung des „Revenge-Songs“-Genres überhaupt, gemeinsam mit SZAs Hit „Kill Bill“ und Shakiras kräftig austeilender Abrechnung mit dem Fußballer Piqué.

Didi Petschl

Musikredakteur Petschl über das neue Album

Audio

Cocktail aus Nostalgie, Sehnsucht und Melancholie

„Flowers“ ist nun auch das Herzstück eines Albums, das insgesamt überrascht: Wer mit den titelgebenden „Endlossommerferien“ vor allem Songs im Euphoriemodus erwartet – also den großen pumpenden Pop und Discorefrain wie bei „Flowers“ – mag enttäuscht sein. Das Album zeigt den Popsuperstar vor allem im – musikalisch vielfältigen und abwechslungsreichen – Modus der Reflexion.

Das Cover von Miley Cyrus’ neuem Album
So sieht das Cover von Mileys „endlosen Sommerferien“ aus: das Trapez und das eigene Leben fest im Griff

Der Grundton ist nachdenklich gehalten, ein Cocktail aus Nostalgie, Sehnsucht und Melancholie. Wie im Aufhängersong geht es in weiten Strecken um die Verarbeitung einer Trennung: Handelt „Flowers“ davon, dass sich Cyrus selber Blumen kauft, den eigenen Namen in den Sand schreibt, alleine tanzen geht und sich überhaupt selbst viel besser lieben kann, ist der Rest des Albums eher von einer gedämpfteren, dunkleren Tonalität geprägt: eine Platte wie ein Ergebnis eines trennungsverarbeitenden Selfcare- und Reflexionsretreats – wenn auch mit kämpferischer Explizitheit.Miley Cyrus – Flowers (Official Video) von MileyCyrusVEVOSoziale Netzwerke vollständig anzeigen

„Get the fuck out of the house with that shit, Get the fuck out of my life with that shit“, singt Cyrus in „Muddy Feet“ an der Seite von Sia, einer von zwei Gaststars des Albums, voller Wut bezüglich der Untreue ihres Ex-Partners: „Du riechst nach Parfüm, das ich nicht gekauft habe. Jetzt weiß ich, warum du die Vorhänge zugezogen hast.“

Liam Hemsworth’s references in Miley Cyrus‘ „Flowers“ music video and song 🌺
A THREAD. pic.twitter.com/UI6dk7WJWo— 𝐁𝐄𝐘𝐒𝐔𝐒🇲🇦🦄 (@mileycyrusvibez) January 14, 2023

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Die Kraft der rauen Stimme

Versöhnlichkeit, gepaart mit einem Hauch von Bosheit klingt in „Jaded“, einer Dance-Pop-Nummer an, die von überraschend experimentellen Beats unterlegt ist: „Es tut mir leid, dass du abgestumpft bist. Jetzt, wo ich Zeit hatte, darüber nachzudenken, sind wir viel älter, und der Knochen ist zu groß, um ihn zu begraben.“

Miley Cyrus liegt im Bikini neben einem Pool
Die LA-Villa als Selfcare-Retreat – und Ort der Selbstreflexion

Tanzbarer, angriffslustigerer Techno ist dagegen in „River“ zu finden, jenem Song mit 80er-Jahre-Anleihen, der am Freitag auch als zweites Video online ging. In einer Spotify-„Story“ verrät die Sängerin dazu, dass sie den Song in einer Zeit komponierte, in der sie „emotional und persönlich zu viel durchmachte“. „Der Song entwickelte sich von einem Gefühl, dass es nie zu regnen aufhörte, hin zu einem Regen aus Liebe“, so Cyrus.Miley Cyrus – River (Official Video) von MileyCyrusVEVOSoziale Netzwerke vollständig anzeigen

Mehr als zuvor verlässt sich „Endless Summer Vacation“ auf Cyrus’ raue und kraftvolle Stimme. Schon als 14-Jährige – damals noch als Star der Kinderserie „Hannah Montana“ um ein Schulmädchen, das ein Doppelleben als Popstar führte – transportierte sie ein Pathos, das über ihr Alter hinausging. Je älter sie wurde, desto tiefer und androgyner wurde ihr Gesang – wohl bedingt auch durch eine Stimmbandoperation, der sie sich 2019 unterziehen musste. Den tiefen Bass kostet sie nun in „Only If It Is You“ und in der abschließenden Demoversion von „Flowers“ aus.

Risse im weichgespülten Disney-Image

Cyrus ist erst 30 Jahre alt, blickt aber mittlerweile auf eine fast 20-jährige Karriere zurück. Ihre Patentante ist US-Country-Music-Ikone Dolly Parton, auch Papa Billy Ray ist erfolgreicher Country-Sänger. Nach kleineren Rollen wurde sie 2006 „Hannah Montana“-Hauptdarstellerin. Das Disney-Produkt bekam rasch ein Eigenleben, Miley aka Hannah wurde zum Superstar, mit 14 Jahren kannte sie quasi jede und jeder.

2008 bekam ihr familientauglich zurechtgestutztes Image erste Risse, als sie für eine Fotosession mit Starfotografin Annie Leibovitz nur mit Leintuch „bekleidet“ posierte – und sich in der Folge entschuldigen musste. 2012 wurde sie mit einem Penisform-Geburtstagskuchen für ihren Freund Liam Hemsworth abgelichtet, was, wie sie später in einem Tweet schrieb, dazu führte, dass sie die Sprechrolle in „Hotel Transilvanien“ an Disney-Kollegin Selena Gomez verlor.

Miley Cyrus auf dem Wrecking Ball
Auf der Abrissbirne Richtung neues Image: „Wrecking Ball“ von 2013

Damals war es ohnehin schon fast vorbei mit dem weichgespülten Kinder-TV-Star-Bild: Mit der – wie ihr viele übel nahmen – Subtilität einer Abrissbirne kämpfte sie sich mit „Bangerz“ 2013 (inklusive der Single „Wrecking Ball“) aus der vorgeschriebenen Rolle heraus und pfiff scheinbar auf alle, die ihr eine hypersexualisierte Inszenierung und übertriebenen Rebellionsgestus vorwarfen.

Zahlreiche Wandlungen

In ihren acht bisher erschienenen Alben wusste Miley immer wieder, sich selbst neu zu erfinden, also ihr Image und ihren Sound immer wieder zu verändern – und sich dabei trotzdem immer treu zu bleiben. Mit voller (stimmlicher) Power und ohne Rücksicht auf Gehässig- und Gepflogenheiten ging sie an, was sie machen wollte – und pfiff dabei stets auf Subtilitäten.FM4-Kritik „Vom Disney Star zur Queen of Pop“zur Website

Auf das Hip-Hop-beeinflusste „Bangerz“ folgte 2015 das schräge Psychedelic-Album „Miley Cyrus & Her Dead Petz“, das von den Flaming Lips unterstützt wurde und mit den Zeilen „Yeah, I smoke pot/Yeah, I like peace“ begann. 2017 erschien „Younger Now“, bei dem schon der Nude-Lederanzug auf dem Cover verriet, dass es sich um ihr Country-Album handelte. Mit dem zuletzt erschienen „Plastic Hearts“ von 2020 fröhnte sie mit Gastauftritten von Altstars Billy Idol und Joan Jett dem Rock.

Mit dem neuen, wahrscheinlich abwechslungsreichsten und zugleich reduziertesten Album räumt sie Techno und Dance mehr Raum als je zuvor ein – ohne auf Rock und Pop zu verzichten. Cyrus schließt „Endless Summer Vacation“ mit einer klassisch-geradlinigen Ballade ab, eine Hymne an die Frauen in ihrer Familie, eine Hommage an Mama und Großmutter gleichzeitig, die sie bewundert, respektiert, versteht und die, wie sie schreibt, „in ihre DNA eingeschrieben“ sind: „Wonderwoman“.

Eine, wenn man so will, „Wonderwoman“ ist Cyrus auch mit Sicherheit für ihre Fans: Wie nur wenige Pop-Superstars ist sie über ihre lange Karriere hinweg zum großen Vorbild nicht zuletzt für junge Frauen geworden. Ein Vorbild dafür, sich nicht von gehässigen Zwischenrufen einschüchtern zu lassen – sondern einfach das eigene Ding zu machen.

Paula Pfoser (Text), ORF Topos, Dietmar Petschl (Audio), TV-Kultur

Link:

v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)

QELLE : ORF.AT TOPOS

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