Staatsoperette Österreich
Staatsoperette Österreich teilenBühneMusik
24. März 2023, 16:44 Uhr
Eine Operettenuraufführung im Jahr 2023? Man darf sich dieser Tage in Wien die Augen reiben, wenn der deutsche Komponist und auch Entertainer Moritz Eggert dem ganzen Land eine Operette auf den Leib schneidert – und vom ORF bis zu André Heller niemanden verschont. Ein bisschen Sorge habe er schon, als „Piefke“ an der Volksoper ein wahres Theater zu machen.Gerald Heidegger
Die Frage, wie Musiktheater im Jahr 2023 funktionieren könne, beantwortet Komponist und Conférencier Eggert im Video mit Topos knapp: „Flott!“ Für Ouvertüren, so schön sie seien mögen, ist bei Eggert kein Platz mehr – und er erinnert dabei an die Plot-Ökonomie eines Giacomo Puccini: „Tosca, da fällt sie runter, zack, tot, aus – super!“ Bei Eggerts Auftragswerk „Die letzte Verschwörung“ für die Wiener Volksoper, inszeniert von Chefin Lotte de Beer, funktioniert Operette als flotte Tour de Force, die aber, so sagt er, diesmal nicht den Spoiler-Alert auf Opernprogrammbüchern habe, wo man von Anfang bis zum Ende die gesamte Handlung dargelegt bekommt.

Man kann sagen, dass die Operette in einem Dornröschenschlaf war, weswegen ich mich da eigentlich ganz unbekümmert an diese Aufgabe gemacht habe.
Das Publikum soll in die Geschichte kippen
„Ich möchte ein Publikum, das sich auf die Geschichte einlassen und sie auch ohne Zusatztexte, auf Deutsch, verstehen kann.“ Eggerts Kniff ist ein für das Musiktheater ungewöhnlicher auktorialer Erzähler, der am Beispiel eines österreichischen Showmasters für das, wie er sagt, „öffentlich-rechtliche Fernsehen“ in den Sog von Verschwörungstheorien gerät, gegen die er sich noch am Anfang zu wehren können meint. Friedrich Quant (Timothy Fallon), der in seinen Sendungen gern gegen alle austeilt, sieht sich in den „Kaninchenbau“ der Verschwörungsmythen rund um den „Flat Earther“ Dieter Urban (Orhan Yildiz) und seine Freundin Lara Lechner (Rebecca Nelsen) gezogen.

Helene Breisach, Ö1, im Gespräch mit Moritz Eggert
Was sind die Unterschiede zwischen Operette, Musical und Oper?Audio
Man trifft sich im Stadtpark, und dann geht es hinunter in einen abenteuerlichen Sog an Verschwörungen, in denen auch der Universalkünstler Dunkler kein Licht hinter den Rahmen der Weltkonstruktion zu bringen vermag. Ufos und Pizzen fliegen durch den Raum, und Quant wird zunehmend zum Getriebenen seiner selbst, der einen Mythos nach dem anderen aufklären mag, bis er vor der „letzten Verschwörung“ steht.
Das ist Moritz Eggert
Für Hausherrin Lotte de Beer ist er nicht nur Komponist, sondern so etwas wie ein Neuerfinder und Conférencier des Musiktheaters. In der Szene ist Eggert durch das Format „Oper für Ungeduldige“ bekannt, das in einer Minute die großen Werke der Opernliteratur erzählt. Diese Serie schreit dringend nach einer Fortführung. Der 1965 in Heidelberg geborene Eggert komponierte auch die Musik für die Eröffnungszeremonie der Fußballweltmeisterschaft 2006.
- Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Timothy Fallon (Friedrich Quant) und das Wiener Staatsballett
- Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Timothy Fallon (Friedrich Quant) mit Ensemble
- Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Wallis Giunta (Natalya Ostrova) und Daniel Schmutzhard (Der Kanzler)
- Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Rebecca Nelsen (Lara Lechner), Timothy Fallon (Friedrich Quant), Jakob Semotan (Alois Dunkler), Ensemble
Der vorsichtige „Piefke“
Dass er als „Piefke“ seine Weltkomödie in Österreich ansiedelt, hat für Eggert zwei Gründe, wie er im Gespräch erzählt. Einerseits sei nirgendwo auf der Welt, schon gar nicht in Deutschland, noch eine Operette platzierbar. Und dass man der Realität als „Weltkomödie“ begegne, sei in Wien einer offenen Haltung und Tradition geschuldet, so Eggert, der freilich vermeidet, als Frankfurter die Wienerinnen und Wiener zu schulmeistern. Die Claus-Peymann-Zeit ist bei Eggert vorbei – wohl ist aber auch bei ihm wie zuletzt bei Barrie Kosky die Oper ins Fahrwasser von Serienplattformen gezogen. Das sehen wenige in dem Metier als Chance.
Hinweis: Eine kürzere Version des Gesprächs mit Moritz Eggert war am 22.3. um 23.03 Uhr im Zeit-Ton-Magazin auf Ö1 zu hören, ein Kurzbeitrag ist in „DesCis“ am 24.3. ab 11.30 Uhr verfügbar.
Wir haben Spoileralarm bei Netflix, aber im Opernhaus wird uns minutiös vorher erzählt, was passieren wird – und das finde ich eigentlich schade.
Zu erwarten ist bei der Aufführung, die am Samstag ihre Weltpremiere erlebt, ein flotter Gang durch die musikalischen Formen, die der in der klassischen Kompositionslehre geschulte Eggert flott um sich wirft. „Jedes Musiktheater ist immer auch ein Gang durch die Musikgeschichte“, so Eggert. Entscheidend sei, dass alles für die Wirkung und für den Zusammenhalt der Dramaturgie funktioniere. So habe sich ja auch Wolfgang Amadeus Mozart an seine Werke gesetzt. „Die Zauberflöte ist doch ein Stück, bei dem man eigentlich nie so genau weiß, worum es exakt geht, aber stets haben wir dabei eine intuitive Vorstellung“, so der Komponist.
Dass man mit einem Ohrwurm aus der Oper in die Nacht zieht, glaubt Eggert nicht, doch schon jetzt darf man wetten: Die Nummer „Im Stadtpark“ hat Gassenhauerpotenzial.
Gerald Heidegger (Text und Gestaltung), ORF Topos, Helene Breisach (Audio), Ö1, für ORF Topos, Bernie Schmidt (Kamera), für ORF Topos, Marlene Mayer (Schnitt), für ORF Topos
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