Vasyl Vyshyvanyi

Habsburger als „Robin Hood“ der Ukraine

Habsburger als „Robin Hood“ der Ukraine teilenKulturOper

27. März 2023, 11:21 Uhr

Je vehementer Russland die Ukraine als historisch legitimierte Nation verleugnet, desto mehr beruft sich die Ukraine auf ihre Geschichte. Eine identitätsstiftende Symbolfigur ist da der österreichische Erzherzog Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen. Er avancierte sogar zum Helden der zeitgenössischen Oper „Vyshyvanyi. King of Ukraine“, die am Montag in Ö1 gesendet wird.Rainer Elstner, Rosemarie Burgstaller

Nach Wilhelm von Habsburg, in der Ukraine als Vasyl Vyshyvanyi bekannt, sind Straßen und Plätze benannt, sein Name findet sich in den ukrainischen Schulbüchern. Hierzulande erlangte er erst Bekanntheit, als sich der amerikanische Historiker Timothy Snyder der Geschichte seines abenteuerlichen Lebens angenommen hatte. Die deutsche Übersetzung des Buches „Der König der Ukraine“ erschien 2009 und ist heute aktueller denn je.

Fotografie von Karl Vocelka mit Brille und weißem Vollbart vor Fensterglas

Historiker Karl Vocelka über den „König der Ukraine“

Warum Wilhelm von Habsburg eine Symbolfigur für die Ukraine istAudio

1895 in Pula auf der kroatischen Halbinsel Istrien geboren, war Wilhelm Franz der jüngste Sohn des Erzherzogs Karl Stephan und der Erzherzogin Maria Theresia, Prinzessin der Toskana. Sein Name schien programmatisch gewählt: Er erhielt den Namen jenes Erzherzogs Wilhelm, mit dessen Verlobung die Habsburger Ende des 14. Jahrhunderts versucht hatten, ihren Machtraum auf polnisches Territorium zu erweitern.

Diese Bemühungen waren jedoch gescheitert – und so geschah es auch 500 Jahre später. Wilhelm von Habsburgs Traum vom polnischen Thron, den sein Vater erschaffen hatte, zerbrach, nachdem zwei seiner Schwestern polnische Aristokraten geheiratet hatten. Timothy Snyder resümiert: „Um seinen eigenen Weg gehen zu können, musste er seine eigene Nation finden.“ Und so entdeckte Wilhelm Franz die Ukraine.

Szene aus Opernaufführung mit Sänger Volodymyr Kozlov im Mittelpunkt
Sänger Volodymyr Kozlov (Mitte) in der Titelrolle der neuen Oper

Mehr als eine romantische Zuneigung

Vielleicht im Jahr 1912, wie Snyder schreibt, als 17-Jähriger, reiste Wilhelm Franz nach Galizien und widmete sich von da an der Ukraine. Er erlernte Ukrainisch und befasste sich mit der lokalen Kultur. Unter seiner k.u.k.-Uniform trug er ein traditionelles, besticktes Hemd, weshalb er von den Bevölkerung „Vasyl Vyshyvanyi“ („Wilhelm der Bestickte“) genannt wurde. Den Ruthenen, wie die ukrainische Bevölkerung damals bezeichnet wurde, und ihren Traditionen war er auf eine fast romantische Weise zugetan. Dem entsprach auch, dass er seine Pläne von einer Ukraine als eigenem Teil des Habsburgerreiches in der Zeit entwickelte, als die Monarchie bereits im Untergehen war.

Alte Ansicht aus 1983 von Erzherzog Wilhelm von Österreich

Wilhelms Verhältnis zur ukrainischen Bevölkerung

Audio

Der Historiker Karl Vocelka berichtet in der Ö1-Reihe „Betrifft: Geschichte“ von einer Illusion, die Wilhelm Franz, aber auch andere Habsburger damals verfolgten. Das alte Europa stand kurz vor dem Zusammenbruch, die politischen Systeme nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstanden vollkommen neu. Dass die Herrschaft der Habsburger zu Ende ging, glaubten diese Anfang des Jahres 1918 wohl am allerwenigsten.

Szene aus Opernaufführung
Das Bühnenbild der atmosphärisch dicht und düster inszenierten Oper

Im Februar 1918 überantwortete Kaiser Karl I. Wilhelm Franz die etwa viertausend Mann starke „Kampfgruppe Erzherzog Wilhelm“ mit einer eigenen Propagandaeinheit, der Ukrainischen Legion. Mit diesen Truppen marschierte er Richtung Ukraine in die Region von Saporoschschja bis zum Gebiet der berühmten Saporoger Kosaken, zur Saporoger Sitsch. Von hier aus wollte er die ukrainische Nation begründen und suchte ukrainische Soldaten und Bevölkerung gleichermaßen für seine Vision zu gewinnen.„Wilhelm von Habsburg“ in der 3sat Mediathekzur Website

Seine Legion fraternisierte mit den Bauern und versuchte sie zu einer politischen Identifikation mit der Ukraine zu bewegen. Diese Fraternisierung hatte viele Formen, manche davon literarisch. Wilhelms Soldaten verbrachten viel Zeit damit, Stücke zu verfassen und an allen nur möglichen Plätzen vor der lokalen Bevölkerung aufzuführen. Hin und wieder spielten sie auch in Ställen. […] So wurde die Ukraine in einem Stall geboren – wie das Christentum.

Timothy Snyder. „Der König der Ukraine“

Ein „königlicher Robin Hood“

Wenn Wilhelm von Habsburg sich auch zeitlebens der ukrainischen Nation verbunden fühlte, so war die Phase, in der er tatsächlich etwas bewirken konnte, nur von kurzer Dauer. Das als „Brotfrieden“ überlieferte, in Brest-Litowsk Anfang Februar 1918 unterzeichnete Separatabkommen, brachte die Anerkennung der Ukrainischen Volksrepublik durch Deutschland und Österreich-Ungarn, sowie, in einem geheimen Zusatzprotokoll, die Aussicht auf ein ukrainisches Kronland innerhalb der Monarchie.

Literaturhinweis:
Timothy Snyder: Der König der Ukraine. Die geheimen Leben des Wilhelm von Habsburg. Zsolnay, 416 Seiten.

Nach Snyder hatte Wilhelm Franz entscheidenden Einfluss darauf, die ukrainischen Positionen durchzusetzen. In dieser Endphase des Krieges begründete er seine große Beliebtheit in der Ukraine. Die Habsburger suchten – im Unterschied zu den Deutschen – den ukrainischen Nationalismus zu stärken. Durch seine Volksnähe schaffte es Wilhelm Franz, die ukrainischen Soldaten um sich zu scharen. Er verteidigte die Bauern gegen die Besitzansprüche der Aristokraten und gegen den Zwang, Güter an die Besatzer abliefern zu müssen. „Wilhelms Einstellung zu bäuerlichem Landbesitz machte ihn in der gesamten Ukraine legendär, zu einer Art königlichem Robin Hood“, so Snyder.

Alte Ansicht aus 1983 von Erzherzog Wilhelm von Österreich

Wilhelm von Habsburg und Mode

Was machte seine Popularität aus?Audio

Ein Leben zwischen Bonvivant und Spion

Nach mehreren erfolglosen Versuchen in der Zeit der politisch-militärischen Machtkämpfe am Beginn der 1920er Jahre in der Ukraine Fuß zu fassen, zog sich Wilhelm Franz letzten Endes zurück und ging über Wien nach München. Den Kern seiner Vision, eine unabhängige Ukraine, gab er jedoch nicht auf. Er begann eine Armee aufzubauen, die die ukrainische Unabhängigkeit von den Bolschewisten herbeiführen sollte.

Der Vertrag von Rapallo im April 1922 zwischen Deutschland und Sowjetrussland machte schließlich alle Pläne einer Invasion zunichte. Was folgte, war eine Zeit der Ziellosigkeit. Wilhelm Franz ging nach Madrid, anschließend nach Paris, wo er das Leben eines Bonvivant führte. Er hatte Liebschaften mit Frauen und Männern und geriet Mitte der 1930er Jahre in einen Betrugsskandal. Die Kontakte zu den Nationalsozialisten, von denen er sich völlig realitätsfremd eine Verbesserung der Lage der Ukrainer und Ukrainerinnen erhofft hatte, mündeten schon bald in seiner Spionagetätigkeit für Großbritannien und Frankreich.

Sendungshinweise:

Wilhelm von Habsburgs Ende war tragisch. Am 26. August 1947 wurde er in Wien in aller Öffentlichkeit vom Sowjetischen Geheimdienst entführt und nach Monaten der Verhöre nach Kiew verschleppt. Dort zu 25 Jahren Haft verurteilt, verstarb er kurze Zeit später.

Szene aus Opernaufführung mit Sänger Volodymyr Kozlov im Mittelpunkt
Wilhelm Franz, inszeniert als neuer Nationalheld der Ukraine

Der Erzherzog als Opernfigur

Diese faszinierende Biografie sollte jüngst brennende Aktualität erfahren: Im Oktober 2021 fand im postmodernen Opernhaus von Charkiw die Uraufführung von „Vyshyvanyi. King of Ukraine“ statt, ein zeitgenössisches Musiktheaterwerk rund um Wilhelm als Hauptfigur. Mit der Musik wurde Alla Zagaykevych beauftragt, die Doyenne der ukrainischen Komponistinnen. Das Libretto dazu schrieb Suhrkamp-Autor Serhiy Zhadan.

Niemand konnte erahnen, dass Wilhelms Eintreten für einen ukrainischen Staat noch größere Symbolkraft erhalten würde: Fünf Monate nach der Uraufführung von Zagaykevychs Wilhelm-Oper zerstörte eine russische Rakete das Opernhaus in Charkiw. Wenig später flüchtete ein Teil des Opernensembles in die Slowakei. Ein Mitschnitt der Uraufführung ist am Montagabend in der Ö1-Sendung „Zeit-Ton“ zu hören.

Rosemarie Burgstaller, Rainer Elstner (Text und Audio), Ö1, für ORF Topos

Link:

Wilhelm Franz von Habsburg-Lothringen (Wikipedia)v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)

QELLE : ORF.AT TOPOS

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.