Kabelsalat

Wie Österreich die Glasfaser verschlief

Wie Österreich die Glasfaser verschlief teilenGeschichteTechnologieIT

25. März 2023, 06:00 Uhr

Österreich hinkt in Sachen Glasfaserkabel im EU-Vergleich hinterher. Nun wird wieder gegraben und verlegt. Diesmal muss der EU wegen einer Förderung bewiesen werden, dass etwas weitergeht – im Gegensatz zu den letzten beiden Breitbandinitiativen. Österreichs Zaudern erinnert an jenes beim Telefon zu Kaisers Zeiten. Das bisschen Glasfaser, das verlegt ist, ist nicht zuletzt der Universität Wien gedankt.Mariann Unterluggauer

Seit 2003 wird im Parlament über Breitbandinitiativen diskutiert. Mit dem Erfolg, dass sich Österreich auch nach der Breitbandinitiative 2020 im EU-Vergleich immer weiter von der nächsten Generation schnellen Internets entfernt hat.

2021 nutzten gerade einmal 3,3 Prozent der Haushalte einen Glasfaseranschluss. Im EU-Vergleich liegt Österreich damit an drittletzter Stelle. Ein Grund dafür ist, dass Österreich als einziges EU-Land auch den mobilen Zugang zum Internet als Breitbandzugang definiert hat. Doch auch der Mobilfunk braucht mehr als Luft, damit die Daten ihr Ziel erreichen. Am Antennenmast angekommen, wird das Signal per Leitung weitertransportiert.

Ein 5G-Netz braucht die Glasfaser

Der beste Datenleiter dafür ist die Glasfaser, die optische Übertragung über Lichtwellenleiter. Darüber sind sich die Telekommunikationsunternehmen einig. Seit 1972 wissen sie über die Vorzüge der optischen Datenübertragung Bescheid. Und seitdem wird das Ende der Kupferkabel von so manchen ehemaligen Post- und Telegraphenverwaltungen hinausgeschoben. Dass es auch anders geht, hat die Universität Wien bereits in den 1980er Jahren bewiesen.

Die Suche nach der schnellen Leitung

Der Zentrale Leitungskataster der MA 28 in Wien veröffentlicht – für alle zugänglich – die Pläne der Leitungen unter den Straßen und Gehsteigen der Stadt. Spannend am Kartenmaterial sind nicht unbedingt die eingezeichneten Markierungen, sondern all jene, die in der Darstellung fehlen, meint Hermann Steinringer.

Karte des Zentralen Leitungskataster
Karte des Zentralen Leitungskatasters

Und Steinringer muss es wissen, denn er war am Aufbau der Internetinfrastruktur maßgeblich beteiligt. Er verlegte in der Stadt bereits die ersten Datenkabel zwischen den Universitäten, lange bevor die ersten Provider ihre Büros eröffneten. Was es in den 1970er Jahren gab, war die Post- und Telegraphenverwaltung. Ein staatliches Monopol, das sich um seine Telefonleitungen sorgte, wie einst die k. k. Post und Telegraphenanstalt.

1881 begann Verkabelung Wiens

Die Lizenz dafür hatte nicht die k. k. Post- und Telegraphenanstalt, sondern ein Privatunternehmen. Ein Kaufmann und ein ehemaliger Mitarbeiter der Staatstelegrafie glaubten an das Geschäft mit dem „Fernsprechen“ – ganz im Gegensatz zum Kaiser und der Beamtenschaft.

Kaiser Franz Joseph (1901)

Kaiser Franz Joseph zum Telegraphon (1901)

Der Monarch gratuliert und zeigt sich doch unbeeindruckt. Österreichische Mediathek/ Technisches Museum WienAudio

Der Kaiser hatte zwar ein Telefon, benutzte es aber nicht. Und auch die Telegrafengesellschaften waren weniger am gesprochenen als am geschriebenen Wort interessiert.

„Man will keine Steuergelder für etwas vergeuden, das sich vielleicht als Eintagsfliege herausstellt“, schreibt ein deutscher Kommentator. Österreichische Medien hingegen mokierten sich darüber, dass die Weltmetropole Wien noch immer ohne Telefon auskommen muss, während man in Paris und den USA schon vom Photophon träumte.

Man wird dahin gelangen – wenn auch nicht in unserer, so doch gewiss in einer späteren Zeit – dass mittels Elektrizität auch das Sehen möglich wird und zwei Freunde sich auf diese Weise über den Ozean ihre Grüße zusenden werden. Oder dass man in Budapest den Vorstellungen in der Pariser Oper mit dem Auge und mit dem Ohr wird beiwohnen können.

Das Photophon, Morgenblatt, 24. Juni 1881

Grafische Darstellung der Verkabelung über einer Straße in New York von Verena Repar
Grafische Darstellung der Verkabelung über einer Straße in New York von Verena Repar

Als Österreich den ersten internationalen Vertrag zum grenzüberschreitenden Datenfluss unterschrieb, waren die Spuren der Nachrichtenkommunikation noch sichtbar. Man setzte auf Luftleitungen. Damit meinte man lange Zeit nicht Funkwellen, sondern Oberleitungen. Aber bereits 1884 war man sich einig: Das Geschäft mit dem Telefon wird nicht in der Luft alleine gemacht.

Es dürfte als Tatsache hingestellt werden, dass auf längere Zeit, bei der fortschreitenden Entwicklung des Telephonverkehrs in großen Städten mit dem jetzigen Systeme der Luftleitungen nicht auszukommen ist.

C. L. Madsen, Über Telephonleitungen in großen Städten und deren Verbesserung, 1884

Die Wiener Privat-Telegraphen-Gesellschaft setzte auf Qualität und den neuesten Stand der Technik. Um Störgeräusche und das Überspringen der Signale bei der Übertragung zu unterbinden, setzte sie auf die Endbündelung der Signale, schreibt vor 140 Jahren C. L. Madsen, Direktor der Telephon-Gesellschaft zu Kopenhagen.

„Ein Kabel in der Luft, ein weiteres unter der Erde. Eines diente dem Anrufe, ein weiteres diente dem Rückruf.“ Genutzt hat das dem Wiener Unternehmen wenig. Die Medien waren nicht am neuesten Stand der Technik interessiert, sondern an Zahlen.

Leider konnte man statt der angekündigten 91 nur sechs – sage sechs Linien – dem Verkehr übergeben und dies nur, um den Konzessionsbedingungen genüge zu tun.

Das Telephon in Wien, Morgen-Post am Samstag, 3. Dezember 1881

Von privat zum Staat

Die Wiener Privat-Telegraphen-Gesellschaft wurde entschädigt und die Konzessionen und Leitungen vom Staat abgekauft. Das hatte durchaus Vorteile. Wien drohte bereits damals ein Wildwuchs an Netzwerken, in denen netzwerkübergreifendes Telefonieren von den Investoren nicht vorgesehen war: Der „walled garden“ ist also keine Erfindung von Apple, Google & Co., sondern eine Kopie einer alten Geschäftsidee.

Ein Staatsmonopol hingegen hat an einer derartigen Einschränkung der Dienste wenig Interesse. Sein Markt ist das Staatsgebiet. Und die Nachrichtenübermittlung eine Staatsangelegenheit.

Das Ende der Post- und Telegrafenmonopole in Europa

1984: Großbritannien, Finnland

1996: Österreich

1998: Deutschland, Frankreich

100 Jahre Stillstand

Nachdem die ersten Kupferleitungen Wien mit Brünn verbanden, hatte man es mit der Versorgung der Bevölkerung nicht mehr allzu eilig.

In einem Bericht für die amerikanische Telekommunikations- und Informationsverwaltung aus dem Jahr 1983 brachte der Autor Ronald S. Eward die Situation in Österreich auf den Punkt: Die Datenfernübertragung sei in Österreich nicht untersagt, aber die Post- und Telegraphenverwaltung zeige daran kein Interesse. Für den „Datenfernverkehr“ sei eine Firma namens Radio Austria AG zuständig.

Logo von Radio Austria
Das Logo von Radio Austria

Gegründet wurde das Unternehmen 1922 vom Funkpionier Guglielmo Marconi. Verstaatlicht wurde es 1955, nach dem Ende der Besatzungszeit in Österreich.

Truppe mit Auftrag

Sowohl die Ingenieure und Investoren der Telefonie als auch die Internetpioniere im ehemaligen EDV-Zentrum der Universität Wien hatten einen großen Auftrag. Nachdem die ersten Großrechner an die Universitäten kamen, dachte man bald auch an ihre Verkabelung. Schließlich waren die Maschinen nicht nur groß, sondern auch teuer, und man konnte ihnen beim Rechnen zuschauen.

Archivaufnahme des Burroughs 205 Datatron an der Universität Wien

Peter Paul Sint über den ersten Rechner der Uni Wien

(Auszug aus einem Gespräch mit der Autorin, 2015)Audio

Archivaufnahme des Burroughs 205 Datatron an der Universität Wien
Archivaufnahme des Burroughs 205 Datatron an der Universität Wien

Jedes Bit war sichtbar

„Jedes einzelne Bit konnte man sehen“, erzählt Peter Paul Sint. Er war damals Student. Später arbeitete er an der Akademie der Wissenschaften, am Institut für Sozioökonomie, und er ist Mitherausgeber des Buches „Grenzüberschreitender Datenfluß und Österreich“, erschienen in der Schriftenreihe der Österreichischen Computer Gesellschaft 1986. Wie in den USA plante man auch in Wien an den Universitäten nicht, teuer Rechner zu mieten, sondern stattdessen Prozessorleistung zu teilen.

Dafür brauchte man eine Kabelverbindung zwischen den Gebäuden und ein neues Universitätsorganisationsgesetz, das die Zusammenarbeit der akademischen Rechenzentren erst erlaubte. 1974 lag es auf dem Tisch. Erstmals tauchen in einem Gesetzestext Wörter wie „Datenverarbeitung“ auf. Und die ersten Hinweise auf eine „Digitalisierung der Verwaltung“.

Jedoch, ein Gesetz zu formulieren ist eine Sache, es umzusetzen jedenfalls eine Herausforderung. Dass ein EDV-Zentrum sich auch um die Verwaltung kümmern sollte, war neu und sorgte für Unmut.

Nun heißt es, die Kapazität der Rechenzentren sei so zu bemessen, dass die Priorität bei der Verwaltung liegt und Forschung und Lehre folgt. Das Rechenzentrum betrachtet diese Entwicklung als nicht im Interesse unserer Benützer.

Heisser Draht #1, Oktober 1972, Hrsg.: Abteilung für Digitalrechenanlagen, Technische Hochschule Wien

Zu den Daten radeln

Wenn ein Statistiker der Universität Wien schnell seine Berechnungen benötigte, dann sendete er seine Daten von der Uni Wien an die Technische Universität. Er schwang sich aufs Rad und holte das Ergebnis persönlich ab, in 2,5 km Entfernung, an der Technischen Hochschule in der Gußhausstraße 27–29.

Das war zu Anfang der Datenfernübertragung noch allemal schneller, als in der Universitätsstraße auf einen Ausdruck zu warten. Die Anfänge, so Hermann Steinringer, waren „mühsam, aber herrlich“. 1972 nahm er den Job eines EDV-Operateurs an. Ein paar Jahre später war er der erste „Datenverarbeitungsbeauftragte“ der Universität Wien.

Vom Zimmer über die Straße zum nächsten Stock

Die Vernetzung der Universitäten begann mit der Vernetzung von Peripheriegeräten. Die standen nicht im selben Raum, sondern nebenan.

Als nächster Schritt wurden Stockwerke und Institute miteinander verbunden. Erstaunlicherweise ging der Weg dafür über die Straße. Vorschrift ist Vorschrift, meinte die Post- und Telegraphenverwaltung, und dachte im Grunde nur an neue Gebühren. Schließlich war Österreich damals noch in drei Telefonzonen eingeteilt. Es gab Bürozeiten, Nachtzeiten und einen eigenen Tarif für das Wochenende. Und an den Universitäten gab es eben Stockwerke.

Hermann Steinringer

Hermann Steinringer über die Anfangszeit der Verkabelung

Audio

Staat und Privatanbieter am Tauschen

Als in den 1980er Jahren Universitätsgebäude noch per Stand- und Wählleitung an die Rechenzentren angeschlossen waren, wusste man: Die „Staatsleitungen“ der Post liegen auf der einen Seite, die der Privatanbieter gegenüber. Privat wurde gespleißt, um in Gebäude abbiegen zu können. Und es kam zum Tauschhandel: Ich gebe dir vier Fasern hier, du gibst mir vier Fasern dort. Kein Wunder, dass die Klärung der Eigentumsverhältnisse der Telekommunikationsleitungen unter der Erde heute schwierig ist.

Anhand von Straßennarben, mehr oder minder notdürftig geflicktem Asphalt, erkennt man an manchen Stellen noch die Spuren der frühen Verkabelung Wiens. In manchen Straßenzügen enden sie vor Hausmauern, in anderen biegen sie in eine neue Straße ein. Auch die Größe eines Schachtdeckels kann ein Hinweis über den Verlauf einer Leitung sein. Einst war das ein Zeichen dafür, dass das Kabel ums Eck gelegt wurde. Aber das Stadtbild verändert sich. Straßenbeläge werden erneuert und Schachtdeckel verschwinden.

Kanaldeckel der European Telecom
Kanaldeckel der European Telecom

Namen wie GTS, European Telecom oder COLT verweisen noch auf die Anfänge der Kommunikationsnetzwerke in Wien. COLT steht für City of London Telecom und war einer der ersten kommerziellen Anbieter in Wien. Hinter European Telecom verbirgt sich das einstige spanische Postmonopol Telefónica.

Manchmal findet man selbst noch Luftkabel, die, ihrem Schicksal überlassen, an Masten hängengeblieben sind. Sie haben keine Funktion mehr. Sie sind nur noch ein Symbol für die Anfänge der Vernetzung in der Stadt, deren Zentrum für lange Zeit die Universität Wien war und mit Vienna Internet Exchange für Mittel- und Osteuropa immer noch ist.

Die Anbindung der Universität Wien von 1974 bis 2001

Gebäude: 102

Anzahl der Computer: 25.000

Verlegte Kabel zwischen und in den Universitätsgebäuden: 500 km

Kritische Infrastruktur

Das Postmonopol von einst ist Geschichte, genauso wie die mühsame Verkabelung. Heute laufen die Fäden der Telekommunikationsnetze bei der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) zusammen. Die Daten, die von der dort angesiedelten zentralen Stelle für Infrastrukturdaten gesammelt werden, sind jedoch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

Sie sind „einsehbar auf Anfrage“ für Unternehmen und Gemeinden. „Es muss schon ein berechtigtes Interesse bestehen“, sagt Klaus Steinmauer, Geschäftsführer für den Fachbereich Telekommunikation und Post bei der RTR.

Welcher Bezirk hat die beste Leitung?

Für Privatpersonen liefert der Breitbandatlas etwas Orientierung. Damit lässt sich feststellen, welche Datenübertragungsraten und Technologie für eine Wohnadresse zur Verfügung stehen – österreichweit. Aber selbst wenn ein Glasfaserkabel an der Tür vorbeiführt, heißt das noch nicht, dass man auch einen Glasfaseranschluss bekommen kann.

Ein durchgängiges Glasfasernetz in Wien, so Georg Chytil, Geschäftsführer des Telekommunikationsdienstleisters Next Layer, dürfe man sich heute zum Beispiel nicht mehr erwarten. Dieser Zug sei abgefahren.

Kabelgewirr in einer Baugrube
Klassisches Kabelgewirr in einer Baugrube

Datenraten am Land erhöhen

Aber vielleicht schafft Österreich es wenigstens, die Datenraten am Land zu erhöhen. Dort haben – laut EU-Kommission – nur zwölf Prozent der Bevölkerung Zugang zu einer Internetverbindung, die eine Download-Rate von mindestens 100 Mbit/s erlaubt.

An der Universität Wien hingegen redet man bereits vom Quantennetzwerk. Aber vielleicht wird für einen Privathaushalt 2032 alles besser. Versprochen wurde ja bereits im Regierungsprogramm 2017 ein Gigabit-Netz. Viele Bürgerinnen und Bürger wären wohl auch mit flächendeckenden 100 MBit/s zufrieden. Aber dieses Ziel hat in Europa bisher nur ein Land erreicht: Finnland.

Mariann Unterluggauer (Text, Videoredaktion), für ORF Topos, Verena Repar (Video, Grafik), Zita Klimek (Bildredaktion), Simon Hadler (Redaktion), alle ORF Topos

Links:

v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)

QELLE : TOPOS ORF.AT

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.