Vulkane
Warten auf ein Jahrhundertereignis
Warten auf ein Jahrhundertereignis teilenWissenWissenschaftNaturwissenschaft
15. Januar 2023, 06:00 Uhr
Am Sonntag vor einem Jahr ist der Unterwasservulkan Hunga Tonga-Hunga Ha’apai ausgebrochen. Es war die stärkste Vulkanexplosion seit dreißig Jahren. Der Ausbruch dauerte wenige Stunden, hätte er länger angehalten, wären die Konsequenzen weit verheerender gewesen. Ob so starke Ausbrüche vorhersehbar sind und wie man mit dem Risiko umgehen kann, erklären Experten gegenüber ORF Topos.Katharina Gruber
Es war die höchste Aschewolke, die je bei einem Vulkanausbruch gemessen wurde, als der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai letztes Jahr am 15. Jänner ausbrach. 57 Kilometer ragte sie in die Höhe. Beim letzten Vulkanausbruch vergleichbarer Stärke – dem Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991 – waren es 40 Kilometer gewesen. Der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai verursachte Tsunamis, die auch die Küsten Japans sowie Nord- und Südamerikas erreichten.
Vorhersage wäre möglich gewesen
In der Nähe des Vulkans gab es keinen einzigen Seismografen, der auf ungewöhnliche Bodenbewegungen hinweisen hätte können, sagt Götz Bokelmann, Seismologe an der Universität Wien: „Der Ausbruch kam überraschend, weil es keine Instrumente gab, die ihn hätten vorhersagen können. Man wusste zwar, dass ein Ausbruch bevorstand, aber der genaue Zeitpunkt war vollkommen unklar.“

Die nächsten Seismometer standen in 800 bzw. 2.000 Kilometer Entfernung, erklärt er: „Das ist besonders schmerzhaft, weil es gerade in dieser Gegend, die stark von Vulkanismus und Erdbeben betroffen ist, große Lücken gibt. Durch Seismometer auf den Inseln und die entsprechende Datenauswertung hätte man Menschenleben retten können.“ Nach offiziellen Angaben starben in Tonga vier Menschen direkt durch den Vulkanausbruch. Zudem wurde die Hauptinsel des Königreichs mit einer Ascheschicht bedeckt, die die meisten Häuser zerstörte und das Trinkwasser verunreinigte.
Was es für eine gute Vorhersage braucht
Werden lokale Bodenbewegungen beobachtet, lässt sich der Zeitraum, in dem ein Ausbruch stattfinden wird, stark eingrenzen. Bokelmann weist darauf hin, dass für eine exakte Vorhersage aber zusätzliche Geräte direkt auf dem Vulkan notwendig seien. Sie messen kontinuierlich unter anderem Gasausstoß und Temperatur. Italien überwacht so beispielsweise seine Vulkane. Dadurch können Städte wie Neapel am Fuße des Vesuvs im Ernstfall rechtzeitig evakuiert werden. Das erfordert viel Auswertungsarbeit, die von wissenschaftlichem Personal erledigt werden muss.
Zwar kommt auch künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz, doch im Moment führt noch kein Weg an der Auswertung durch Menschen vorbei. In Zukunft werde KI das besser als Menschen können, sagt Bokelmann, dafür brauche es aber ausreichend Trainingsdaten für die Maschine. Relevanter werden in Zukunft auch Satellitendaten, sie spielen in der Vulkanforschung schon eine große Rolle, sind aber für die Prognosepraxis noch nicht einsetzbar.
Im Moment arbeitet man also hauptsächlich mit lokalen Geräten. Exakte Vorhersagen sind nur kurz vor dem Ausbruch möglich, und die Zeit reicht nur für eine Evakuierung, wenn die Daten ständig ausgewertet werden. Es ist daher in erster Linie eine Finanzierungsfrage, die über die Vorhersagbarkeit entscheidet. Global gesehen werden die Menschen also sehr ungleich geschützt.
Wenn es noch schlimmer kommt …
Im August vergangenen Jahres forderten der Vulkanologe Michael Cassidy und die Risikoforscherin Lara Mani in einem Kommentar in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“, dass weltweit größere Anstrengungen in die Vorhersage von Vulkanausbrüchen gesteckt werden müssten. Aber auch ins Risikomanagement, denn: Wäre der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai nicht nach wenigen Stunden vorbei gewesen oder hätte er noch mehr Asche ausgestoßen, wären die Folgen auf Lieferketten, Nahrungsmittelversorgung und Klima auf der ganzen Welt verheerend gewesen.

Der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai hatte die Stufe 6 und verlief dafür vergleichsweise glimpflich. Beim letzten Ausbruch der Stufe 6, dem erwähnten Pinatubo-Ausbruch 1991, starben je nach Angaben zwischen 700 und 900 Menschen. Die Autorin und der Autor des „Nature“-Kommentars argumentieren, dass sich die Welt aber auch auf einen Ausbruch der Stufe 7 einstellen müsste, der nach neueren Berechnungen durchschnittlich alle 625 Jahre stattfindet, zuletzt 1815 in Indonesien, als der Tambora ausbrach. Am Ausbruch und den Folgen starben schätzungsweise 100.000 Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch dieses Jahrhundert zu einem solchen Ausbruch der Stufe 7 kommt, liege bei eins zu sechs, daher müsse sich die Welt darauf vorbereiten, so Cassidy und Mani.
Mit dem Unvorhergesehen umgehen
Thomas Glade, Geograf und Risikoforscher an der Universität Wien, sagt, dass Gesellschaften Schwierigkeiten haben, sich auf Ereignisse einzustellen, die die Menschen noch nicht erlebt haben: „Mit einem jährlich auftretenden Hochwasser oder einer Lawine, die alle zehn, 15 Jahre abgeht, kann man gut umgehen. Je seltener ein Ereignis, desto schwieriger.“
Auch wenn ein Vulkanausbruch der Stufe 6 global gesehen alle paar Jahrzehnte vorkommen kann, ist er für die jeweilige Region betrachtet eine Seltenheit. Wenn man sich präventiv orientiere, so Glade, müsse man sich auch damit auseinandersetzen, was potenziell passieren kann, selbst wenn das Ereignis in einer Region in den letzten Jahrhunderten nicht aufgetreten ist. Er sagt: „Dass man auch mit dem Unvorhergesehen umgehen kann, ist das Entscheidende beim Katastrophenmanagement.“ Gerade bei Vulkanausbrüchen ist das von enormer Bedeutung, denn selbst gute Vorhersage funktioniert eben nur eher kurzfristig.
Wichtig seien dafür beispielsweise „Redundanzen im System“, sagt er: „Damit nicht alles kollabiert, wenn eine Sache ausfällt.“ Das zeigt auch der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai: Weil er Unterwasserkabel zerstörte, konnte Tonga tagelang nicht mit der Außenwelt kommunizieren. Da wären zusätzliche Kommunikationswege nötig, die als Back-up dienen. Aber, so Glade: „Natürlich muss uns auch klar sein: Ab einer gewissen Ausbruchsstärke können wir uns auch nicht mehr darauf vorbereiten.“
Katharina Gruber (Text und Gestaltung), TV-Wissenschaft, für ORF Topos, Marcus Walter (Kamera), für ORF Topos, Sarah Goldschmidt (Schnitt), für ORF Topos, Zita Klimek (Infodesign), ORF Topos
Sendungshinweis: Vulkanausbrüche und das Klima, ORF3, 27.01.2022
Link:
– Kommentar in „Nature“v1.0.4-production (14. March 2023, 10:02:17)
QELLE : ORF.AT