Bräuche zeigen die Gesellschaft
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Wie das Osterfest, vor allem die Zeit davor, zu verbringen sei, ist seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus Gegenstand teils heftiger Kontroversen. Fasten und Erlösung sind zentrale Gedanken auf dem Weg hin auf das christliche Osterfest. Doch viele Bräuche haben auch weltliche Hintergründe, die sehr auf das politische System einer Region verweisen.Gerald Heidegger, Silvia Heimader
Um die Archaik der Osterbräuche in Österreich zu finden, muss man nicht ewig weit in die Vergangenheit blicken. Ein Dokument zu Osterbräuchen in Tirol und Osttirol aus dem Jahr 1973 zeigt eine Reihe von Bräuchen und Ritualen, die in der Gegenwart einigermaßen fremd ankommen. Sie erzählen von der Überwindung des „Bösen“ ebenso wie die Bitten um ein Auskommen im Leben und die Erinnerung an die Überwindung des Todes durch Jesus von Nazareth.
„Um Ostern als wichtigste Zeit im kirchlichen Jahreslauf verteilten sich in früheren Zeiten wichtige Lostage“, berichtet auch der Matreier Volkskundler Karl C. Berger. Lostage bezeichnet dabei Tage, an denen gewisse Tätigkeiten verrichtet, aber auch Tribute entrichtet werden mussten. Aufgeführte Bräuche rund um das Osterfest, so Berger, hingen mit diesen Pflichten bzw. Zinsabgaben zusammen. Die spätmittelalterlichen Abgabepflichten an die Grundherren fallen da ebenso darunter wie die verpflichtende Abgabe von Naturalien. Das „Zinsei“ oder auch „Hubei“ gehört dazu und meint den Überschuss an Eiern, die Bauern in der Fastenzeit ansammelten und als Zinsleistung an die Grundherren in Naturalform übergaben. Die strenge Fastenzeit verbot ja den Verzehr von Fleisch. Und unter dieses Verbot fiel auch das Ei.
Orte des Videos aus 1973
Außerfern – Scheibenschlagen am „Hexensonntag“
Hall in Tirol – Palmsonntag bis Karsamstag
Prägraten – Prozession mit Widder
Kals am Großglockner – Widderprozession am Schmerzensfreitag
Oberlienz – Ratschen
Thurn in Osttirol – Helenenkirche
Die Fixierung auf das Thema Brot
Umgekehrt brachte die fleischlose Zeit eine Fixierung auf die Bedeutung von Brot, was man etwa in Tirol an den zahllosen Brotweihen ablesen kann. Zum Helenenkirchl oberhalb von Lienz pilgerte man vor Ostern mit Tieren und Leiterwagen, um dort Brotlaibe zu weihen und eine gute Roggenernte zu erbitten. Die Verteilung des geweihten Brotes (wie auch im Topos-Video am Schluss zu sehen) hat somit die Bitte um den Segen für das Jahr wie auch die Feier des Osterwunders, an das Christinnen und Christen glauben, zum Gegenstand. Gebacken wurde zu Ostern auch ein spezielles Fladenbrot, das sich durch das Feuer (Mittelhochdeutsch: „vochenze“) als „Fochaz“ bzw. „Fochezn“ in den späteren Sprachgebrauch übersetzte. Man muss also nicht nach Italien schauen, um die „Focaccia“ zu lokalisieren.

Funkenfeuer und „Hexenverbrennung“
Sonn-, aber auch Freitage in der Fastenzeit waren mit symbolischen Handlungen verbunden, die in enger Verbindung mit dem Osterfest standen. Etwa das Funkenfeuer, das als alter Feuerbrauch im schwäbisch-alemannischen Raum, aber auch im Tiroler Oberland und im Vinschgau verbreitet ist. Der Funken ist meist ein Strohhaufen oder aufgeschichteter Holzturm, der nach Einbruch der Abenddämmerung angezündet wird. Auf der Spitze des Funkenturmes befindet sich nicht selten eine Hexenpuppe („Funkenhexe“), die mancherorts auch mit Schießpulver gefüllt sein kann. Das laute Explodieren der Hexenpuppe als Höhepunkt des Funkenfeuers wird in manchen Gegenden als besonderes Glückszeichen gewertet.01:29
Dorfbewohner bei einer Feuerweihe in Osttirol, 1936
In Tirol, wie ebenfalls auf dem Video zu sehen, ist das Scheibenschlagen mit der Tradition des Funkenfeuers verbunden: Brennende Scheiben werden von Lanzen in die dunkle Nacht geschleudert und mit Sinnsprüchen unterlegt (Anfang des Topos-Videos, hier mit einem Beispiel aus dem Außerfern). In vielen Gegenden Nordtirols heißt der erste Sonntag der Fastenzeit auch „Hexensonntag“. Und in Vorarlberg ließ man diese Tradition in die Liste des UNESCO-Erbes eintragen. Ob freilich das Abbrennen einer Frauenfigur in die Zeit passt, ist seit den 1990er Jahren Gegenstand von Debatten. Im Vorarlberger Lustenau feierte man 2019 noch den Weltrekord beim Aufstellen eines über 60 Meter hohen Holzturmes, an dessen Spitze die „Funkenhexe“ stand.

Manche Brauchtumsformen der Osterzeit entwickelten sich gar als Widerstandsformen gegen die gesamtstaatliche Obrigkeit. Am „Schmerzensfreitag“, das ist der Freitag eine Woche vor dem Karfreitag, wird in vielen Gemeinden ein weißer Widder an der Spitze einer Prozession in die Pfarrkirche geleitet, um der „sieben Schmerzen der Maria“ zu gedenken. Der festlich geschmückte Widder bleibt während der gesamten Messe vor dem Marienaltar stehen und wird nach der Messfeier versteigert. Im Osttiroler Kals am Fuße des Großglockners geht das „Widderopfer“ auf ein Pestgelöbnis aus dem frühen 17. Jahrhundert zurück. Des Überstehens der Pest sollte mit diesem Widderopfer gedacht werden. Selbst ein Verbot dieses Rituals während des Josephinismus wurde von den Kalsern missachtet.
Als die Virger und Prägratner in ihrem Glauben zur Kirche ‚Maria Schnee‘ in Obermauern pilgerten, machte der Zug der Bittsteller Halt, um auf halbem Wege zu beten. Plötzlich erspähten sie hinter den Zäunen den schwarzen Tod in der Gestalt des Sensenmannes. Mit einem mächtigen Schwung hieb der dunkel verhüllte Knochenmann seine Sense in Richtung des Tales. Die Pilger beobachteten dies erschrocken und mussten tatenlos zusehen. Ihre einzige Möglichkeit bestand im Gebet. Die schien zu fruchten, denn gerade als der Sensenmann erneut zum Schwung ausholen wollte, stürmte ihm aus Richtung der Kirche her ein weißer Widder entgegen. Wutentbrannt rammte das Tier dem schwarzen Tod seinen mächtigen gehörnten Schädel in die Seite.
Zur Legende aus dem frühen 17. Jh., aus: Bernd Lenzer, Martin Müller: Lebendiges Brauchtum in Osttirol und im südtiroler Pustertal (2005)
Die frühchristliche Debatte über das Osterfest
Wie die Zeit vor Ostern zu feiern sei, ist regional höchst unterschiedlich. Fasten und der Erlösungsgedanke sind aber schon seit der Frühzeit des Christentums zentral. Umstritten aber war durch die langsame Absetzbewegung der christlichen Sekte aus dem Judentum des vorderen Orients, wie sehr das Osterfest mit der Feier des jüdischen Pessach-Festes in Verbindung stehen sollte. Galt das Pessach-Fest ja als Familienfest, setzten das frühe Christentum und vor allem jene, die es im Westen verbreiteten, auf ein weitgehend „öffentliches“ Fest, sofern das vor dem politischen Rahmen möglich war.

Herzstück der Osterfeier ist die nächtliche Vigil, zu er alle Christinnen und Christen zusammenkommen sollen und eben nicht nur die Mitglieder einer Familie. Der frühchristliche Schriftsteller Tertullian (150–220) fürchtete sogar, der heidnische Gatte könnte Bedenken haben, seine christliche Frau zu der nächtlichen Osterfeier gehen zu lassen. Der Verlauf einer österlichen Feier ist durch die zentralen Glaubensgrundsätze des Christentums um die Auferstehung und das Leben nach dem Tod unbestritten – unterschiedliche Auslegungen existierten im frühen Christentum über die Länge der Fastenzeit, die ein paar Tage ebenso umfassen konnte wie die Woche zwischen Palmsonntag und der Auferstehungsfeier.
„Trotz verschiedener Akzentuierungen im Einzelnen darf man für Ost und West eine weitgehend übereinstimmende Auffassung vom Grundgedanken der österlichen Feier annehmen“, schreibt der Kirchenhistoriker Hubert Jedin in seiner Geschichte der frühchristlichen Kirche: „Man begeht in ihr das Gedächtnis der Grundwahrheiten und Grundtatsachen der christlichen Erlösung, die der Menschheit durch den Tod und die sieghafte Auferstehung des Herren zuteilwurde.“ Die endgültige Festlegung, wie Ostern zu feiern sei und wer vor allem Teil der Kirche ist, erfolgte letztlich im Konzil von Nicäa im Jahr 325.
Gerald Heidegger (Text und Video-Gestaltung), ORF Topos, Silvia Heimader (Archivrecherche), Marlene Mayer (Schnitt), für ORF Topos
Links:
- Osterbräuche in Tirol und Osttirol (Tiroler Volkskundemuseum)
- Hintergründe zum Widderopfer (Uni Innsbruck)
- „Weltrekordfunken“ in Lustenau (vorarlberg.ORF.at)
- Osterschwerpunkt auf religion.ORF.at
v1.0.4-production (06. April 2023, 08:59:15)
QELLE : ORF.AT