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Politoutfits unter der Lupe

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01. Februar 2023, 13:15 Uhr

In Zeiten von Message-Control müssen Politikerinnen und Politiker auch mit der Mode gehen – oder den ein oder anderen Tabubruch wagen. Von der Tracht als Symbolträger über die Handtasche als Knalleffekt bis zum Muskelspiel unter dem Slim-Fit-Anzug: Der Modejournalist Daniel Kalt analysiert in seinem neuen Buch die Outfits von Machthabenden.Nicola Eller

Es war der 30. Mai 2019, als Kalt die Vorstellung der ersten Bundeskanzlerin im Fernsehen mitverfolgte. Brigitte Bierlein, Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, würde bis zu den Neuwahlen an der Spitze der Übergangsregierung stehen. Der „Ibiza-Skandal“ hatte das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zutiefst erschüttert. Was Kalt sofort auffiel, war der weiße Rüschenkragen, den die damals 69-Jährige Juristin für ihren Auftritt gewählt hatte. Er erinnerte ihn an den Jabot, den manche richterliche Talare beinhalten, und an die berühmten Krägen der amerikanischen Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg.

Bierleins Outfit war für Kalt „ein Verweis auf ihr richterliches Amtsverständnis“. Seine Stilkritik über das Outfit der neuen Bundeskanzlerin für die Tageszeitung „Die Presse“ ging sehr früh online und „hat unter den Leserinnen und Lesern ein bisschen für Unmut gesorgt“. Über die erste Frau an der Spitze einer Regierung schreiben und dann gleich ihr äußeres Erscheinungsbild analysieren? Dabei erzählen die Bekleidungsformen in der Politik und vor allem die Kleidercodes, die Frauen lange Zeit vorgeschrieben waren, auch viel über Machtverhältnisse und Diskriminierung.

Revolution im Anzug

Für sein Buch „Staat tragen. Über das Verhältnis von Mode und Politik“ nahm sich Kalt die Garderobe von Staatsmännern und -frauen der vergangenen Jahrzehnte vor und fand dabei spannende gesellschaftliche und kulturwissenschaftliche Hintergründe. In Deutschland etwa löste die Politikerin Lenelotte von Bothmer einen Skandal aus, als sie im Oktober 1970 in einem Hosenanzug eine Rede im deutschen Bundestag hielt. Kostüme und Kleider waren für weibliche Kongressabgeordnete auch in den USA bis Ende der 1980er Jahre obligatorisch.

  • Jörg Schmitt / dpa / picturedesk.comJoschka Fischer in SneakersJoschka Fischer leitete mit seinen weißen Turnschuhen eine modische Zeitenwende in der Politik ein
  • IMAGO/Thomas TrutschelAngela Merkel mit einfärbigen Blazer und schwarzer HoseAngela Merkel prägte ihren eigenen Stil: Stets mit schwarzer Stoffhose und einfärbigem Blazer
  • ORF.at/Roland WinklerEx-ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Slim-Fit-AnzugDie Generation Slim Fit zeigt, wie trainiert sie ist. Hier: Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
  • IMAGO/ZUMA PressMargaret Thatcher mit König Fahd von Saudi Arabien mit Tasche in der HandMaggie Thatcher zeigte mit ihren Handtaschen nicht nur Stil – sondern knallte sie vor allem gerne auf den Tisch, um Argumente zu unterstreichen
  • APA/Herbert PfarrhoferArchivaufnahme von Alt-Kanzler Wolfgang Schüssel mit MascherlDas Markenzeichen von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel war sein Mascherl – ein Alleinstellungsmerkmal auf der Politbühne
  • IMAGO/Peter HartenfelserJohanna Mikl-Leitner im Dirndl mit Landeshauptmann der Steiermark Hermann SchützenhöferNicht schwer zu dechiffrieren: Das Dirndl als volksnahe Alternative zum Hosenanzug, hier bei Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner
  • REUTERS/RIA Novosti/Pool/Alexei DruzhininWladimir Putin mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd sitzendWladimir Putin versucht, mit Maskulinität zu punkten und seinen autoritären Machtanspruch zu manifestieren

Als sich Hillary Clinton als demokratische Präsidentschaftskandidatin der Öffentlichkeit präsentierte, trug sie einen weißen Hosenanzug. Damit stach sie nicht nur aus einem Meer aus blau-weiß gestreiften Flaggen heraus. Die Farbe Weiß war auch ein Zeichen der Solidarität mit den Frauen. Kalt: „Besonders in der politischen Tradition der USA verweist die Farbe Weiß auf den Marsch der Suffragetten, also der Frauen, die sich für das Wahlrecht eingesetzt haben.“ 1918 demonstrierten in Washington, aber auch in London Tausende Frauen in weißen Kleidern auf den Straßen.

Vor allem demokratische Politikerinnen wie die Vizepräsidentin Kamala Harris trugen in den letzten Jahren bei ihren öffentlichen Auftritten oft einen weißen Hosenanzug. „Eine stille, wenn doch sehr beredte Kleiderform“, so Kalt.

Sendungshinweis: Eine Langfassung zu „Staat tragen“ ebenfalls zu sehen im kulturMontag am 30.1., 22.28 Uhr und bis 6.2. in der TVthek abrufbar.

Von der Föhnfrisur bis zum Turnschuh

Zu einem erfolgreichen Auftritt in der Politik ist Wiedererkennbarkeit ein wichtiges Element. Politikerinnen wie Margaret Thatcher wussten das genau. Als erste Frau an der Spitze der britischen Regierung zählte zu ihren wenigen modischen Vorbildern Queen Elizabeth II. Die Frisur der britischen Premierministerin wurde ebenso zu ihrem Markenzeichen wie ihre Handtasche.

Darin verstaute sie nicht nur ihre Unterlagen, erzählt Kalt. „Im Gesprächsverlauf mit politischen Gegnerinnen und Gegnern, aber zum Teil wohl auch mit Parteikolleginnen und -kollegen, hat sie gewisse Punkte dadurch unterstrichen, dass sie mit der Handtasche relativ vehement auf den Tisch geschlagen hat.“ Das Verb „to handbag“ hat es daraufhin in das Oxford Dictionary geschafft.

Regelbrecher auf leisen Sohlen

Von einer „Verturnschuhung“ der Politik war die Rede, als der Arzt und Grünen-Politiker Wolfgang Mückstein 2021 sein Amt als Gesundheitsminister antrat. Mit weißen Sneakers schritt er in der Wiener Hofburg zur Angelobung. Zufall oder nicht, hatte sich das ein Grünen-Politiker schon 36 Jahre vorher erlaubt. Joschka Fischer wählte für seine Angelobung zum hessischen Umweltminister 1985 weiße Turnschuhe.

Kalt sagt dazu: „Das war damals natürlich ein unglaublicher Bruch mit den Konventionen und eigentlich ein sehr vorhersehbares Kalkül. Aber das hat auch ausgereicht, um ihn einerseits als Politiker in Deutschland ganz klar zu verorten, als Tabubrecher, als Regelbrecher, und andererseits eben auch, um ihn zur Stilvorlage zu machen, bis in die Gegenwart.“ Fischers Turnschuhe seien in einem Augenblick, der als Beginn einer neuen Ära in der deutschen Innenpolitik gedeutet werden konnte, nur eines von vielen bedeutungstragenden Fragmenten gewesen.

Generation Slim Fit

Meist gekleidet in Dreiteiler und Stecktuch ist es dem SPÖ-Politiker Bruno Kreisky mit seinem äußeren Erscheinungsbild gelungen, auch bürgerliche Wählerschichten anzusprechen. Ebenso ließ sich der Kanzler im Skianzug und Tennisoutfit filmen, obwohl Slim-Fit-Politiker zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Politbühne aktiv waren. In den vergangenen 15 Jahren habe sich, so Kalt, ein Generationswechsel vollzogen.

Kalt: „Wer einen Anzug trägt, der die Körperform erahnen lässt, ist wahrscheinlich etwas sportlicher als ein Kollege, der einen weit geschnittenen Anzug bevorzugt. Da geht es auch um das Bekenntnis, eine gewisse Fitness oder Leistungsfähigkeit auszustrahlen, die sowohl im modernen Geschäftsleben wie eben auch im politischen Leben von immer größerer Bedeutung sein kann.“

Daher wird öffentlich gewandert und gejoggt, in moderner Active Wear oder traditionsbewusst in der Lederhose, und das Bildmaterial dieser Aktionen via eigenem Social-Media-Kanal in die Welt hinausgetragen. Viral ging das Video von Kamala Harris im sportlichen Outfit, als sie Joe Biden am Telefon den Wahlsieg verkündete: „We did it, Joe!“

Sakkopflicht im französischen Parlament

Beim Abschlussfoto des G-7-Gipfels vergangenen Sommer im deutschen Elmau verzichteten die Staatsoberhäupter – abgesprochen oder nicht – alle auf das Tragen einer Krawatte. Kurz vor den französischen Parlamentswahlen posierte der Spitzenkandidat Emmanuel Macron für ein Foto seines Instagram-Accounts mit offenem Hemd und üppiger Brustbehaarung.

Bei offiziellen Anlässen ist Macron stets adrett gekleidet, im Slim-Fit-Anzug von der Stange, aber die Parlamentarier sind für ihren legeren Umgang mit modischen Benimmregeln bekannt. Die französische Nationalversammlung hat daher im November die modische Reißleine gezogen und eine Sakkopflicht für männliche Abgeordnete angeordnet.

Nicola Eller (Text, Gestaltung), ORF TV Kultur, Bernhard Höfer (Kamera), für ORF Topos, Paul Krehan (Schnitt), für ORF Topos

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QELLE : ORF.AT TOPOS

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