KÖRPERBILDER:Schön, schöner, Social Media

115Der Selbstoptimierungswahn in den Sozialen Medien verändert das Körperbild von jungen Menschen.vom 24.02.2023, 13:15 Uhr | Update: 26.02.2023, 09:00 Uhr

Den eigenen Lifestyle mit anderen über Social Media teilen – ein Trend mit vielen Schattenseiten... 
- © Mareen Fischinger / Getty
Den eigenen Lifestyle mit anderen über Social Media teilen – ein Trend mit vielen Schattenseiten…© Mareen Fischinger / Getty

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Eine junge Frau steht voller Energie im Morgengrauen auf. Sie beginnt nicht einfach den Tag, sondern startet ihre „morning routine“. Das heißt: lauwarmes Zitronenwasser trinken, Sport, Yoga, meditieren, duschen (ganz wichtig: Skin Care, also Gesichtspflege!), aufwendig eine Smoothiebowl zubereiten, Journaling (aka Tagebuchschreiben), To-do-Listen erstellen, die bereits aufgeräumte Wohnung aufräumen – und das alles vor neun Uhr.

So oder so ähnlich sehen die Videos aus, die sich seit 2021 hartnäckig unter dem Hashtag „thatgirl“ in den sozialen Medien halten. 980.000 Beiträge gibt es dazu (Stand Februar 2022). „That girl“ ist das Idealbild einer jungen Frau, die nicht nur in Bezug auf ihr Aussehen, sondern auch auf ihr Verhalten den Perfektionismus lebt. Das Credo: mehr anstrengen, mehr Disziplin, gesünder leben. Dieses Bild setzt jedoch Millionen von (nicht nur sehr jungen) Frauen unter Druck. Unter dem Begriff „becoming that girl“ werden bei Google fast zwei Milliarden Ergebnisse angezeigt, die entweder Tipps geben, wie man selbst zu so einem „perfekten“ Wesen wird, oder in denen andere Frauen bei ebendiesem Versuch gezeigt werden.

Die Anzahl der Ergebnisse offenbart, wie viele diesem Idealbild entsprechen wollen. Und das, obwohl das Leben schon fordernd genug ist, wenn es nicht bis in die letzte Faser optimiert wird. Ein weiterer Faktor, der beim #thatgirl-Trend kritisch betrachtet werden muss, ist, dass er viele ausschließt. Zum Beispiel jene, die keine flexiblen Arbeitszeiten haben, bei denen die „Morgenroutine“ aus Kinderbetreuung besteht, oder die aus anderen Gründen nicht so viel Zeit in Selbstoptimierung investieren können. Und wer zwar die Zeit, aber nicht die Motivation dazu hat, bekommt durch solche Videos ein schlechtes Gewissen. Etwa, wenn die eigene Morgenroutine aus sich anziehen, einem riesengroßen Kaffee und Zähneputzen besteht.Werbung

Generell stellt sich mit Blick auf die sozialen Medien die Frage, wohin die Zeit ist, als junge Menschen noch hauptsächlich feiern und ihr Leben genießen statt an ihrer Selbstoptimierung arbeiten wollten. Der Druck, den die sozialen Medien auf junge Menschen ausüben, ist nicht mit jenem der Frauenzeitschriften aus früheren Jahren zu vergleichen. Schließlich war man Magazinen nicht rund um die Uhr ausgesetzt und junge Frauen haben eine durchschnittliche Bildschirmzeit von etwa drei Stunden pro Tag.

Nicht nur Girl, sondern auch Girlfriend

Kaum zu glauben, aber zu #thatgirl gibt es noch eine Steigerung, nämlich #stayathomegirlfriend. Dieser Trend entstand Ende 2022, auf TikTok gibt es zu dem Hashtag schon 165 Millionen Ansichten. Grundsätzlich macht eine „zuhause bleibende Freundin“ vor allem aus, dass sie einen reichen Freund oder Ehemann hat, weshalb sie selbst nicht arbeiten muss. Den Tag verbringt sie (zumindest in ihren Videos) ziemlich genau mit den oben genannten Tätigkeiten: gesunde Ernährung, Sport, Pflegerituale im Bad, Selfcare und Aufräumen. So geht der Tag auch vorbei. Problematisch ist hierbei nicht nur eine unrealistische Vermittlung, sondern auch die Glorifizierung des „Hausfrauendaseins“, das oft mit einer finanziellen Abhängigkeit vom gutverdienenden Partner einhergeht. Außer, man ist selbst erfolgreiche Influencerin. Warum traditionelle Frauenbilder heute noch propagiert werden, erklären sich Forschende damit, dass Frauen sich gezwungen sähen, in ihren Inhalten stereotypen Rollenklischees zu folgen, um mehr Klicks zu bekommen und somit mehr Geld zu verdienen.

Breites Spektrum an Trends

Weitere fragwürdige Körpertrends auf Social Media sind zum Beispiel das Streben nach einer Bikini Bridge (die Bikinihose sitzt nur auf den Hüftknochen, nicht auf dem Bauch) oder einem Thig Gap (Lücke zwischen den Oberschenkeln). Auch der Heroin Chic, ein Trend aus den 90ern, der die Magermodel-Ästhetik feiert, erlebt ein Revival. Unter den Begriffen „Pro Ana“ oder „Pro Mia“, also pro Anorexie oder Bulimie, vernetzen sich Personen mit einer Affinität zu gesundheitsgefährdenden Schlankheitsbildern. Als Gegentrend dazu können ausladende Kurven genannt werden oder die „Strong is the new skinny“-Bewegung.

Bei Ersterem hat sich in den vergangenen Jahren ein starker Fokus auf den Po entwickelt. Auch die Schönheitsindustrie hat das Potenzial dieser Sehnsucht erkannt und bietet etwa Schönheits-OPs wie Brazilian Butt Lift an, bei dem Fett aus anderen Körperregionen in das Gesäß gespritzt wird, um es größer zu machen. Bei Zweiterem geht es um den Wunsch nach einem athletischen und trainierten Körper, statt einfach nur sehr dünn zu sein.

Es bleibt festzuhalten: Bodyshaming passiert in beide Richtungen, in den sozialen Medien werden „zu dünne“ Menschen ebenso abgewertet wie jene am anderen Ende des Spektrums. All diesen Schönheitsidealen steht die „Body Positivity“-Bewegung gegenüber, bei der jeder Körper unabhängig von seinem Aussehen akzeptiert werden soll. Vertreter und Vertreterinnen der Bewegung postulieren, mit sich selbst im Reinen zu sein und das Selbstwertgefühl nicht über Schönheitsideale zu definieren. Dieser grundsätzlich lobenswerte Ansatz nimmt jedoch immer wieder fragwürdige Auswüchse an und steht in der Kritik, etwa durch die Normalisierung von Übergewicht einen ungesunden Lebensstil zu fördern. Als Lösung sehen viele „Body Neutrality“, bei der der Fokus vom Aussehen weg und hin zu den inneren Werten geht.

Her mit den Muskeln

Doch nicht nur jungen Frauen wird in den sozialen Medien ein ungesundes Bild vorgelebt. Auch der Körperkult unter jungen Männern hat in den letzten Jahren stark zugenommen, nur liegt der Fokus hier weniger auf Gewichtsverlust oder Schönheit als auf purer Muskelmasse. Die Fitnessstudios sind voll, der Proteinpulver-Markt boomt, die Selbstoptimierung wird zum Lebensinhalt. Smartwatches zählen Schritte, messen den Puls und die Schlafqualität und zeigen verbrannte Kalorien an.

Muskeln sind in – ob sie immer tatsächlich antrainiert sind, ist zu hinterfragen. 
- © Radomir Jovanovic / Getty
Muskeln sind in – ob sie immer tatsächlich antrainiert sind, ist zu hinterfragen.- © Radomir Jovanovic / Getty

Noch viel mehr als bei den Vorbildern der Frauen stellt sich hier jedoch die Frage: Sind die online gezeigten Muskeln echt oder nicht? Sogenannte „Fake Nattys“ (also „nur zum Schein natürliche“ Männer) proklamieren, ihre Muskeln durchwegs auf natürliche Weise hart erarbeitet zu haben. Nachzuprüfen ist dies für den durchschnittlichen User kaum, was unrealistische Erwartungen in den jungen Männern weckt. Zu erreichen sind die gesetzten Ziele mit natürlichen Mitteln kaum. Steroide oder andere moderne leistungssteigernde Stubstanzen wie SARMs sind heute nicht nur unter Profisportlern, sondern auch bei „ganz normalen“ jungen Männer absolut keine Seltenheit mehr. Im Extremfall wird schon unter Teenagern Testosteron gespritzt, um ein schnelleres Muskelwachstum, erhöhte Leistung und einen niedrigeren Körperfettanteil zu erzielen.

Das Problem bei all diesen „Hilfsmitteln“ ist jedoch, dass sie die Gesundheit schädigen. Wird bereits in der Jugend von außen Testosteron zugeführt, kann der gesamte Hormonhaushalt aus den Fugen geraten und der Körper im schlimmsten Fall nie wieder ohne Supplemente funktionieren. Anabolika können eine Reihe von Nebenwirkungen haben, von Akne über Thrombosen und Leberschäden bis hin zu Herzinfarkten. Problematisch ist, dass die Zielgruppe sich lieber in der sogenannten „Bro Science“-Kultur informiert als über seriöse Quellen. Das heißt, dass zum Thema Muskelaufbau und Ernährung eher in der Community (unter „Bros“, also Brüdern) Ratschläge ausgetauscht werden, als auf Fachmeinungen zu hören.

Bei den online empfohlenen Ernährungsstilen sind alle Extreme vertreten, von vegan über Paleo (an der Steinzeit orientiert) bis hin zu fleischlastig (wegen des Proteins). Auf die Spitze treibt dies zum Beispiel der kürzlich zu enormer Popularität gelangte Fitness-Influencer „Liver King“. Der muskelbepackte Amerikaner aß immer wieder vor Millionen von Followern rohes Fleisch und Organe wie Leber – bis im Dezember 2022 enthüllt wurde, dass er monatlich Steroide im Wert von 11.000 Dollar zu sich nahm. Den Teenagern hilft dies freilich wenig: In Deutschland stieg die Zahl der männlichen Jugendlichen mit einer nachgewiesenen Essstörung von 2008 bis 2018 um 60 Prozent an.

Ausweg gesucht

Die Auswirkungen von fragwürdigen Social-Media-Trends auf Jugendliche sind auch den Unternehmen selbst bekannt. Die Whistleblowerin Francis Haugen etwa machte 2021 publik, dass der Facebook-Konzern Meta sich einiger Problematiken durchaus bewusst ist. Laut interner Forschung des Konzerns heißt es an einer Stelle: „Wir verschlimmern bei einem von drei Mädchen im Teenageralter Probleme, die es mit seinem Körperbild hat.“ Unternommen wird dagegen dennoch kaum etwas, im Gegenteil: App-Funktionen wie Filter tragen zum zunehmend unrealistischen Körperbild bei. Eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2021 im Auftrag der Kinderrechtsorganisation „Plan International“ ergab, dass 94 Prozent der Frauen und 87 Prozent der Männer ihre Bilder mit Filtern und Co. optimieren.

Inzwischen gibt es mancherorts bereits Bestrebungen, das Problem von offizieller Seite anzugehen. So ist etwa in Frankreich die Kennzeichnung von bearbeiteten Fotos schon seit einigen Jahren Pflicht, auch in Norwegen gibt es seit 2021 ein entsprechendes Gesetz. So kann nur versucht werden, jungen Menschen kritisches Hinterfragen der konsumierten Inhalte beizubringen, etwa indem man immer wieder darauf hinweist, dass die Content Creators in den sozialen Medien gutes Geld mit den von ihnen propagierten Körperbildern verdienen. Nicht wenige haben eigene Produktlinien entwickelt, von Proteinpulver und -riegeln über andere „gesunde Snacks“ bis hin zu Fitnesszubehör.

Gerade junge Personen sind unsicher, was ihren eigenen Körper angeht, und in dieser Hinsicht leicht zu beeinflussen. Bei all der Problematik, die von Social Media beeinflusste Körperbilder auslösen, ist zumindest positiv anzumerken, dass so die Debatte über den kritischen Konsum von Medien nicht abreißt.

QELLE : wienerzeitung.at

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