GESCHICHTE UNTER DER HAUT

TATTOOS

Früher verpönt, weil nur bei Seefahrern und Häftlingen verbreitet, sind Tätowierungen heute längst keine Subkultur mehr. Über Trends, Techniken und den langen Weg vom Stigma zum Statussymbol.

Ob großflächig über den ganzen Rücken oder nur ein winziges Symbol am Fingerknöchel: Tattoos sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019 sind etwa 27 Prozent der österreichischen Bevölkerung tätowiert, Männer und Frauen etwa gleich häufig. Bei den 16- bis 34-Jährigen sind es sogar mehr als 40 Prozent. Galten Tattoos früher als Kennzeichen oder sogar Stigma einer bestimmten Bevölkerungsschicht, sind sie heute unter der Ärzteschaft genauso zu finden wie in der Chefetage. Die Frage nach dem Ursprung der Körperkunst ist jedoch nur schwer zu beantworten.

Herkunft nicht eindeutig belegbar

Welches Volk als erstes mit den Tätowierungen angefangen hat, ist nicht genau nachvollziehbar. Der Ursprung des Wortes „tätowieren“ beziehungsweise des englischen „tattoos“ ist in den polynesischen Sprachen zu finden. Im Inselstaat Samoa bedeutet das Wort als Hautverzierung oder Zeichen so viel wie „richtig [die Haut oder Muster einschlagen]“ oder „gerade, kunstgerecht“. James Cook brachte den Begriff 1774 aus Polynesien mit nach England.

Lange war die Wissenschaft der Meinung, dass die ältesten überlieferten Tätowierungen auf der Haut von Ötzi zu finden sind. Die 5.300 Jahre alte Gletschermumie trägt 61 Tattoos am Körper, überwiegend geometrische Figuren, Linien und Punkte, die wahrscheinlich aus medizinischen Gründen vorgenommen wurden. Dazu wurden Muster in die Haut eingeritzt und diese in weiterer Folge mit Kohlepulver eingefärbt. 2018 fanden Forschende jedoch auf zwei etwa 5.351 Jahre alten Mumien aus Gebelein, einem Ort in Oberägypten, ebenfalls Tätowierungen.

Andernorts sind ebenfalls besonders aufwendige und großflächige Tätowierungen bekannt, nämlich bei den eisenzeitlichen Skythen, einem Reitervolk der russischen Steppe und des Kaukasus, und in der Mongolei. Die häufig vertretene These, dass das Tätowieren ursprünglich aus Südwestasien stammt und sich von dort über Ägypten nach Polynesien, Australien und Amerika ausgebreitet hat, scheint somit widerlegt zu sein. Bei den alten Griechen oder Römern wurden Tattoos zur Kennzeichnung genutzt, etwa von Sklaven, oder als Erinnerung an einen Sieg in einer Schlacht. Auch in Japan haben sie eine jahrhundertelange Tradition, wurden dann jedoch als Brandmarkung der kriminellen „Yakuza“ eingesetzt und später verboten, was ihren Ruf nachhaltig beschädigte.

Bei den Maori dominieren geometrische Muster - sie geben unter anderem Aufschluss über die Stammeszugehörigkeit und die geografische Herkunft. 
- © Lance Reis Wix / Unsplash
Bei den Maori dominieren geometrische Muster – sie geben unter anderem Aufschluss über die Stammeszugehörigkeit und die geografische Herkunft.
– © Lance Reis Wix / Unsplash

Weltweite Verbreitung

Im Mittelalter kam der „Tattoo-Trend“ auch bei den Christen an: Die Kreuzritter stachen sich ein lateinisches Kreuz in die Haut und für einige Zeit hatten christliche Tätowierungen so einen hohen Stellenwert, dass die Kirche Nicht-Gläubigen Tattoos verbot.

Bei den indigenen Völkern Polynesiens, den Maori, hatten Tätowierungen hingegen immer schon eine große soziale Bedeutung und gaben unter anderem Aufschluss über die Stammeszugehörigkeit und geografische Herkunft. Auch wurden sie als Initiationsritual durchgeführt, um das Ende der Kindheit und den Übergang in das Erwachsenenleben zu kennzeichnen. Mit zunehmenden Lebensjahren kamen immer mehr Tattoos hinzu, um den aktuellen Stand und neue Errungenschaften abzubilden. Manchmal wurden die Symbole auf der Haut auch zur Einschüchterung von Gegnern verwendet. Die jahrtausendealte Tradition fand mit der Ankunft Thomas Cooks und der christlichen Missionare, die die heidnische Körperkunst verboten, vor etwa 150 Jahren ein Ende. Erst in den 1980er Jahren kam es in Polynesien zu einem Wiederaufleben der Tätowierung und einer Rückbesinnung auf die Traditionen der Indigenen. Gleichzeitig mit den Reisen der großen Entdecker kamen Tätowierungen auch bei Seefahrern in Mode, die auch oft ihre eigenen Tattoostudios in Hafenstädten eröffneten. In einer Hafenkneipe soll sich übrigens auch Kaiserin Elisabeth 1888 ihren Anker auf die Schulter tätowieren haben lassen.

Industrialisierung bei Tätowierungen

Einer größeren Bevölkerungsschicht zugänglich wurden Tattoos endgültig mit der Erfindung der elektrischen Tätowiermaschine. Samuel O’Reilly ließ 1891 als erster einen sogenannten „Tattaugraphen“ in New York patentieren, für den er zwei Patente („Stencil Pen“ genannt) von Thomas Edison weiterentwickelt hatte. Gerade einmal zwanzig Tage später ließ Tom Riley in London unabhängig von O’Reilly die erste Tätowiermaschine patentieren. Die Entwürfe zu diesen elektrischen Tätowiermaschinen existieren heute noch und das Funktionsprinzip hat sich im Laufe der Jahre nicht wesentlich verändert.

Die Erfindung führte zu einem Tattoo-Aufschwung, auch Adelige ließen sich nun vermehrt tätowieren. Jedoch wendete sich das Blatt schnell wieder, da auch Kriminelle und Prostituierte auf den Tattoo-Zug aufsprangen, was den Adeligen wiederum missfiel. Eines der düstersten Kapitel in der Geschichte der Tätowierungen ist jenes der Nationalsozialisten, die einerseits den Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau Häftlingsnummern und der Waffen-SS ihre Blutgruppen tätowierten.

Erst in den 1970er Jahren kam der erneute Aufschwung, vor allem in der Punk- und Rock’n’Roll-Szene. Spätestens seit den 1990ern erfreuen sich Tattoos größerer Beliebtheit. Beigetragen haben hierzu auch Stars, die in der Öffentlichkeit damit auftraten und das Image der Körperkunst wieder aufpolierten. Auch heute gelten gewisse Muster und Symbole auf der Haut jedoch noch als Code und Sprache innerhalb krimineller Organisationen.

Schwalben, Tribals oder asiatische Zeichen

Genauso wie in der Mode gibt es auch bei Tattoos Trends, jedoch wechseln diese eher alle paar Jahre. In den 90ern dominierten vor allem Tribals (Muster nach der Tradition der Maori) und bei jungen Frauen besonders das „Arschgeweih“, aber auch asiatische Schriftzeichen – wahlweise mit unbeabsichtigten Fehlern. In den 2000ern waren Old-School-Motive wie Sterne, Schwalben, Anker oder Herzen wieder angesagt. Die 2010er hingegen waren die Zeit der Unendlichkeitszeichen, Pusteblumen und Lebensweisheiten.

Ein komplett tätowierter Körper erfordert Mut - und eine geringe Schmerzempfindlichkeit... 
- © Dylan Sauerwein / Unsplash
Ein komplett tätowierter Körper erfordert Mut – und eine geringe Schmerzempfindlichkeit…- © Dylan Sauerwein / Unsplash

Heute scheint die Ära großflächiger Tattoos vorbei zu sein (Ausnahmen bestätigen die Regel): Populärer sind nun minimalistische Motive (davon jedoch meist mehrere am Körper verteilt) wie zum Beispiel kleine Blumen, Blätter, Tiere, Autos oder Flugzeuge. Auch Alltägliches wie Einkaufswägen oder Essen findet seinen Weg unter die Haut – vorbei scheint der Wunsch nach Tiefgründigem, der „Ignorant Style“ setzt eher auf provokante Motive. Auch die bevorzugten Körperstellen sind heute andere als früher. Statt am Steiß, Rücken oder Oberarm werden nun gerne Unterarme, Fingerknöchel, Waden und Füße gewählt.

Nicht nur elektrisch

Bei der Art und Weise, wie die Farbe unter die Haut gelangt, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Grundsätzlich geht es immer darum, die Haut zu punktieren und gleichzeitig ein Farbmittel in die mittlere Hautschicht (Dermis) einzubringen. Wichtig ist, dass dabei weder zu oberflächlich noch zu tief gearbeitet wird. Wenn nicht tief genug gestochen wird, führt die Erneuerung der Epidermis dazu, dass die Farbpartikel mit der Zeit abgestoßen werden und das Motiv wieder ausbleicht. Wird zu tief gestochen, waschen sich die Farben durch auftretende Blutungen ebenfalls aus.

Bei einer elektrischen Tätowiermaschine werden, je nach Effekt und Technik, mehrere tausend Stiche pro Minute vorgenommen. Bei den meisten neuen Maschinen können sowohl Tiefe als auch Geschwindigkeit und Stärke des Stichs eingestellt werden. In modernen Tattoostudios wird heute meist mit Maschinen gearbeitet, teilweise können sogar vorab 3D-Visualisierungen des Ergebnisses angefertigt werden.

Eine viel traditionellere Möglichkeit ist das Einschneiden der Haut und anschließende Einreiben des Schnittes mit Tinte, Asche oder anderen farbgebenden Stoffen, das auch Ink-Rubbing genannt wird. Beim Hand-Poke, das heute immer beliebter wird, wird hingegen von Hand mit einem spitzen, in Farbe getauchten Gegenstand gestochen. In Japan heißt diese Technik Tebori.

Dies war vor der Erfindung der elektrischen Tätowiermaschine die gängige Methode, zum Einsatz kamen (vor allem bei indigenen Völkern) angespitzte Knochenfragmente oder Bambusstöcke, auf Tahiti nachgewiesenermaßen Haifischzähne, bei den Azteken und Maya hingegen Dornen und Kakteenstacheln. Bei den Völkern Polynesiens war ein Tätowierkamm üblich, der aus Pflanzenteilen oder Knochen hergestellt wurde und an einem langen Stab befestigt war, der durch rhythmisches Schlagen auf den Griff Linien – niemals Punkte – auf der Haut hinterließ. Die Inuit wiederum arbeiteten mit rußigen Fäden, die narbenähnliche Markierungen hinterließen.

Farbenverbot

Wer ein farbiges Tattoo will, muss mitunter auf eine bestimmte Farbe verzichten – dank eines EU-Gesetzes... 
- © Oli Scarff / afp / Getty
Wer ein farbiges Tattoo will, muss mitunter auf eine bestimmte Farbe verzichten – dank eines EU-Gesetzes…- © Oli Scarff / afp / Getty

Moderne österreichische Tätowierer und Tätowiererinnen stehen seit Anfang 2022 vor einem Problem, mit dem sich traditionellere Berufskollegen und -kolleginnen auf anderen Kontinenten nicht beschäftigen müssen. Seit dem letzten Jahr sind in der gesamten EU gewisse bunte Tattoofarben verboten, da sie als potenziell gefährlich oder nicht ausreichend erforscht gelten. Seither darf nur noch mit Farben tätowiert werden, die den Anforderungen der Tattoo-REACH entsprechen – also auf bestimmte Inhaltsstoffe verzichten, Grenzwerte einhalten und Pflichtangaben auf ihren Etiketten tragen. „REACH“ steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“, also Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien und ist eines der strengsten Chemikaliengesetze der Welt. Seit Jänner 2023 sind mit „Pigment Blue 15:3e“ und „Pigment Green 7“ zwei weitere Farben, die in vielen anderen Farben enthalten sind, von dem Verbot betroffen. Insgesamt wurden laut European Chemicals Agency (ECHA) etwa 4.000 chemische Substanzen verboten, für die es jedoch unbedenkliche – wenn auch teurere – Alternativen gibt. Der Aufschrei in der Tattoo-Branche war dennoch groß.

Die Qual der Wahl

Wer sich tätowieren lassen will, muss sich meist nicht nur für einen Ort und das Motiv selbst, sondern auch für einen Stil entscheiden – vor allem, wenn mehrere Tattoos in Planung sind. Und der Stile gibt es viele. „Geek- oder Nerd“-Tattoos zeigen Figuren oder Szenen aus Computerspielen, Filmen oder Serien. „Biomechanik“-Tattoos lassen im wahrsten Sinne des Wortes tief blicken, da dabei der Bereich unter der Haut, also Muskeln, Organe oder auch Maschinenteile abgebildet werden. Ein Tattoo-Stil, der besonders vom Handpoking profitiert, ist „Dot Work“, bei dem Motive wie Ornamente oder Mandalas aus Punkten unterschiedlichen Größe gestochen werden. Bei „Black and Grey“ kommen dunkle Outlines (Randlinien) mit feinen Schattierungen zum Einsatz, Farben werden jedoch nicht verwendet. Bei „Realistic“-Tattoos werden Tiere, Landschaften oder Gesichter so realistisch wie auf einer Fotografie gestochen. „Blackwork“ wird, wie der Name schon sagt, in reinem Schwarz gehalten und besteht aus grafischen Elementen, vereinfachten Formen und kontrastreichen Linien. „New school“ besticht durch ausgefallene Farben, extreme 3D-Effekte und breite Umrisse. „Watercolor“-Tattoos wirken wie Aquarelle. Beim „Lettering“, das gerade extrem beliebt ist, werden Wörter oder Sätze besonders fein in die Haut gestochen. Filigran geht es auch beim „Finelining“ zu, bei dem meist kleine und freistehende Motive kreiert werden. Genauso im Trend liegen gerade „Geometric“-Tätowierungen, bei denen unterschiedliche geometrische Formen unter die Haut kommen. Weniger dezent sieht es bei „Trash Polka“ aus, denn dieser Stil vereint realistische Motive mit Schmierereien, geometrischen Zeichen und Schrift, und das ganze in Rot und Schwarz. Der „Japanese“-Stil vereint klassische japanische Motive wie Drachen, Tiger, Fische oder Kirschblüten mit kräftigen Farben, oft in Tebori-Technik gestochen.

Genauso wichtig wie die Wahl des Stils und des Motivs ist jedoch auch die des richtigen Tätowierers oder der Tätowiererin. Entsprechend empfiehlt sich eine gründliche Vorab-Recherche online oder der Besuch einer Tattoomesse. Wofür man sich auch entscheidet: Wenn das Kunstwerk nach einiger Zeit doch nicht mehr gefällt, bleibt den Betroffenen neben dem aufwendigen und schmerzhaften Lasern noch die Möglichkeit eines „Cover-ups“. Dabei wird das ursprüngliche Tattoo durch ein anderes, größeres überdeckt.

Die Frage nach dem Warum

Bei all den mannigfaltigen Möglichkeiten, die die Tattokunst bietet, stehen viele Menschen der Körperkunst immer noch skeptisch gegenüber und hinterfragen den Sinn und Zweck derselben. Ganz objektiv betrachtet können Tätowierungen unterschiedlichste Funktionen und Bedeutungen haben und jeder Mensch hat seine individuellen Gründe für ein Tattoo. Heutzutage sind sie vor allem ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, der Selbstdarstellung, des Protests oder der reinen Abgrenzung von anderen. Für manche sind Tattoos auch ganz simpel Körperschmuck oder werden zur Verstärkung der sexuellen Reize oder als Ausdruck der sexuellen Orientierung verwendet. Warum auch immer man sich dafür entscheidet: Die Zeit der Stigmatisierung scheint vorbei und der jahrtausendelange Siegeszug der Tätowierungen unaufhaltsam.

QELLE : https://www.wienerzeitung.at/

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