Sabine Meyer, Deutschlands Klarinettistin par excellence, über Mozart, Neue Musik und die Ungleichbehandlung als Frau.

Wer eine Ahnung davon bekommen will, wie lang Mozarts Klarinettenkonzert schon das Leben von Sabine Meyer begleitet, muss nur der Videoplattform YouTube einen kurzen Besuch abstatten. Dort findet sich unter anderem ein Konzertmitschnitt, der recht eindeutig nach den späten 80er Jahren aussieht. Man merkt es nicht nur an der pixeligen Bildqualität, sondern auch an der luftigen Föhnfrisur und dem Outfit der jungen Protagonistin.
Mehr als 30 Jahre ist das her, und trotzdem: Dieses Mozart-Werk, ein Kernstück von Meyers Repertoire, ist weiter kein „Selbstläufer“ für sie, sagt die Deutsche im Gespräch. „Es wird nicht leichter, es ist jedes Mal eine Riesenherausforderung.“ Auf der anderen Seite sei dieses Konzert – Meyer wird es am nächsten Mittwoch wieder einmal im Wiener Musikverein interpretieren – „wie ein Kraftwerk. Man wird nie müde, es zu üben.“ Dabei habe sie „noch immer nicht das Gefühl, alles verstanden zu haben“. Wenn Meyer an Details herumprobt, können sich noch immer Aha-Erlebnisse einstellen: „Erst heute Morgen hab ich wieder geübt und mir gedacht: Boh, warum hab ich das nicht schon immer so gespielt, das ist ja viel schöner.“
„Er dreht sich im Grab um“
Eine Feststellung, auf die Meyer im Mozart-Zusammenhang besonderen Wert legt: Sie spielt das Konzert im Originalsound – also auf der Bassettklarinette. „Es geht hier stark um Klangcharakteristik, um die Gegenüberstellung eines tiefen, melancholischen Registers und eines hohen; das bestimmt das Mozart-Konzert. Ich denke, er dreht sich im Grab um, wenn es auf einer normalen Klarinette gespielt wird.“
Achtmal hat Sabine Meyer bis heute den Echo-Klassik-Preis erhalten und ist auch anderweitig viel prämiert worden, gilt heute als „First Lady der Klarinette“. Hand aufs Herz: Benützt sie ihre Autorität bisweilen, um auf der Orchesterbühne ihre Klangvorstellungen durchzusetzen? „Um Gottes willen, nein! So bin ich nicht, so macht man auch einfach nicht Musik.“ Ihr Ideal für Orchesterauftritte sei eine „Kammermusik im großen Stil“, sagt Meyer, die tatsächlich einen beträchtlichen Teil ihrer Karriere der Arbeit in kleineren Formationen gewidmet hat. Das Werken an Kammermusik empfindet sie als „wahnsinnige Bereicherung“ – vor allem, wenn es im Freundeskreis stattfindet.
Umso kritischer sieht sie die Rolle, für die sie gemeinhin steht – die der „großen“ Solistin. „Ich habe oft Studenten, die sagen: ‚Ich will Solist werden.‘ Was für ein Quatsch! Was ist das für ein armes Leben, als Solist unterwegs zu sein? Wie traurig ist das Hotelleben manchmal?“ Außerdem: Die schönsten Stellen für die Klarinette ortet Meyer in der Orchester- und Kammerliteratur. Stimmt natürlich: Die Klarinette hat im Lauf einer Symphonie etliche Fülltöne beizusteuern. Aber „da gibt es auch wahnsinnig tolle Passagen, etwa in Beethovens Symphonien. Und gerade der Wechsel zwischen Tutti und Soli ist reizvoll.“
Dass Meyer über die Jahre zur Klarinetten-Koryphäe aufgestiegen ist, hat ihr aber noch eine reizvolle Möglichkeit eröffnet – nämlich das Repertoire für ihr Fach zu vergrößern. Mehr als 40 Tonsetzer, darunter Peter Eötvös, Manfred Trojahn und Aribert Reimann, haben Werke für die Virtuosin verfasst, andere Notenspenden sind ungefragt in ihrem Postfach eingetrudelt. „Es war mir immer ein Bedürfnis, neue Musik in meine Programme miteinzubauen, ich habe damit nie schlechte Erfahrung gemacht“, sagt Meyer.
Sie hat dann aber natürlich nicht alle eingelangten Partituren gespielt, manche bewusst ausgeschlossen. „Wovor ich mich scheue, ist, wenn kein normaler Ton in dem Werk dabei ist, wenn viel Equipment und Elektronik nötig sind. Das bin nicht ich, das verstehe ich nicht.“ Was sie an einem Komponisten schätze: „Wenn er nicht einfach losschreibt, sondern sich erst einmal die Spielmöglichkeiten der Klarinette anschaut.“ Ein Musterbeispiel: der Ungar Márton Illés. Der habe sich zum besseren Verständnis eine Klarinette gekauft und sich dann selbst an dem Rohrblattinstrument versucht, bevor er ein Werk für die Virtuosin verfasst hat.
Das Schöne an der Karriere von Sabine Meyer ist aber wohl auch: Dass sie mehr als 30 Alben einspielte, zu einer Zeit, als der CD-Markt noch nicht darniederlag. Ist sie froh über dieses Timing? Meyer lacht: „Naja, reich bin ich davon nicht geworden.“ Es sei „ein bisschen etwas“ angefallen, „aber nicht vergleichbar mit der Popbranche“. Was sie heute an den Plattenlabels vermisst, ist eine gewisse Freiheit: „Man hat früher einfach sagen können: ‚Lass uns Alban Berg aufnehmen.‘ Heute wäre die Antwort: ‚Das geht ja nun gar nicht!‘ Damals ging es nicht nur um Profit. Wenn ein Künstler eine programmatische Idee hatte, wurde er unterstützt.“
Was sich laut Meyer über die Jahre leider nicht geändert hat: der Gender Gap bei der Vergabe von Führungsposten. Sie selbst hat diesbezüglich in den 1980er Jahren Schlagzeilen gemacht: Meyer, damals eine von nur zwei Frauen bei den Berliner Philharmonikern, erhielt von Herbert von Karajan den Posten der Zweiten Solo-Klarinettistin zuerkannt, räumte den Sessel dann aber im Kontext schwelender Konflikte zwischen Chefdirigent und Ensemble wieder. „Die Sache war komplex, am Schluss ging es nicht mehr um das Thema Frau, es gab politische und andere Gründe“, sagt Meyer, die nicht mehr über den Fall reden will. Bemerkenswert ist für sie aber: „Das ist jetzt 40 Jahre her, und was hat sich getan?“ Stimmt zwar, dass heute mehr Frauen in den Orchesterreihen sitzen, doch oft nicht auf wichtigen Sitzen, meint Meyer. „Es ist immer noch so in der Musik, in der Politik und in der Wirtschaft: Wenn es um Führungspositionen geht, hat es eine Frau weiterhin schwerer.“
„“““““Live am Mittwoch, 8. Februar, mit dem Philharmonischen Orchester Györ im Goldenen Saal
des Wiener Musikvereins.““““““
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