Modebranche
Der Algorithmus im Kleiderkasten
Der Algorithmus im Kleiderkasten teilenModeIT
Online seit heute, 06:00 Uhr
Digitale Technologien machen auch vor der Modebranche nicht halt. Wie wir uns kleiden, wird in naher Zukunft nicht mehr ausschließlich der Mensch bestimmen. Mit künstlicher Intelligenz (KI) können Trends vorhergesagt und das Konsumverhalten bestimmt werden. Modedesignerinnen wie die in Antwerpen lebende Salzburgerin Flora Miranda entwickeln ihre Kollektionen mit Hilfe von Algorithmen (siehe Video). Gänzlich ersetzen können die digitalen Technologien das Handwerk aber nicht.Nicola Eller
Als vergangenen Herbst dem Supermodel Bella Hadid bei der Pariser Fashion Week ein Kleid auf den fast nackten Leib gesprüht wurde, lief manchen Zuschauerinnen und Zuschauern wohl ein kalter Schauer über den Rücken. Folgt auf die hohe Schneiderkunst nun Hightech-Mode aus der Düse?
Ganz falsch liegen sie dabei nicht. Bei den Prêt-à-porter-Shows Anfang März präsentierte die japanische Marke Anrealage eine in Weiß gehaltene Herbst/Winter-Kollektion, die erst unter UV-Licht ihre Farbe entwickelte. „Die Designbranche ist im Umbruch“, meint der niederländische Mode- und Technologieexperte Bradly Dunn Klerks. Viele Jahre war er CEO der Marke Iris van Herpen.
Mit ihren futuristischen Entwürfen aus Polyamid und Acrylglas stattete die Designerin Stars wie Björk und Lady Gaga aus. Ein von ihr entworfenes und im 3-D-Druck produziertes Kleid erkor das „Time Magazin“ als eine der „fünfzig besten Erfindungen des Jahres 2011“. Auch wenn diese Haute Couture-Roben nicht alltagstauglich sind, so ist die Verschmelzung von Technologie und Handwerk wegweisend für die Mode der Zukunft.
Künstliche Intelligenz sagt Trends voraus
Die künstliche Intelligenz hat heute schon eine große Auswirkung auf die Modeindustrie. Firmen wie Zalando und Asos verwenden eine spezielle Software, um den Geschmack ihrer Kundinnen und Kunden herauszufinden. Gekrönt wird das virtuelle Shoppingerlebnis, wenn man online noch vor dem Kauf sehen kann, ob einem das ersehnte Kleidungsstück auch steht.
Auch Trends können Algorithmen vorhersehen. Sie analysieren Daten von Social Media, Fashion-Blogs und dem Kaufverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten und sagen voraus, welche Trends, Farben und Stile in der kommenden Saison en vogue sind.

Mode von Techniknerds? Nein, danke!
Die Vorstellung, dass eine künstliche Intelligenz auch das Design bestimmt, ist auch für Kenner der Branche befremdlich. Im kreativen Prozess müsse man ein Auge darauf werfen, wer hinter der Entwicklung der Computersoftware steckt, empfiehlt Klerks.
„Die Daten und Produkte, die wir alltäglich benutzen, wurden von überwiegend weißen, männlichen Softwareentwicklern gemacht. Die Diversität in den Entwicklerteams fehlt, und so haben die Algorithmen häufig Fehler.“ Lange Zeit hat etwa die Gesichtserkennung bei Smartphones nur bei Menschen mit weißer Hautfarbe funktioniert.
Maß statt Masse
Die Textilindustrie verursacht 2,1 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr, so das Ergebnis einer 2020 von McKinsey und der Global Fashion Agenda veröffentlichten Studie „Fashion on Climate“. Das entspricht vier Prozent der globalen Emissionen. In Bezug auf die Nachhaltigkeit kann die künstliche Intelligenz dabei helfen, Produktionsabläufe zu verbessern und Ressourcen zu schonen.
Schnittmuster können etwa so auf den Stoff umgesetzt werden, dass möglichst wenig Restmaterial anfällt. „Es ist nicht lange her, als sich unsere Großeltern und Urgroßeltern die Mode auf den Leib schneidern ließen“, meint Klerks. „Heute haben wir die Möglichkeit dank der neuen Technologie, Mode ‚Made-to-measure‘ anzufertigen.“
Dabei wird ein 3-D-Scan vom eigenen Körper angefertigt und die Daten an die Designerinnen geschickt. Deren Entwürfe können dann auf Maß produziert und auf Wunsch der Kunden und Kundinnen auch leicht verändert werden.
Computersoftware als neues Werkzeug der Haute Couture
Digitale Daten materialisiert auch die österreichische Designerin Miranda zu außergewöhnlicher Haute Couture. Die Salzburgerin absolvierte die Modeabteilung der Königlichen Akademie der schönen Künste in Antwerpen. Für ihre Entwürfe experimentiert sie mit neuen Materialien und Techniken. Für ihre ersten Kollektionen wurden Silikontropfen- und -fäden sowie 3-D-gedruckte Teile zu futuristischen Kreationen verwoben.
Ein Spiel mit der Oberfläche, bei dem das Flüchtige, Immaterielle der virtuellen Welt zu einer formbaren Realität wurde. Für die Kompanie Ballet of Difference des Schauspiels Köln hat Miranda die Kostüme entworfen. Im Stück „Xerrox Vol.2“ trugen die Tänzerinnen und Tänzer Kleider und Schals mit Mustern, die auf der Komposition des deutschen Komponisten Alva Noto basieren. Mittels einer Computersoftware, die sie mit dem Coding-Künstler Dan Tapper entwickelte wurden die Musikfrequenzen in eine 3-D-Animation übersetzt und dann als Muster auf den Stoff gedruckt.View this post on Instagram
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Die hohe Schneiderkunst, die Haute Couture ist bis heute ein wichtiger Teil der Entwurfsarbeit. „Es kommt immer darauf an, welche Idee welche Technik verlangt. Die eine braucht etwas Handgezeichnetes, aber eine andere kann ich gar nicht mit der Hand zeichnen, dann braucht es Generatives Design“, sagt Miranda.
Hightech trifft High Fashion
Kunst und Technologie werden immer weiter verschmelzen, ist Miranda überzeugt. Ähnlich sieht das Brandon Wen, der US-amerikanische Modedesigner leitet die Modeakademie in Antwerpen: „Generatives Design bedeutet, programmieren zu können. Man muss wissen, wie man Software einsetzen kann, aber um daraus Kleidung zu schneidern, muss man auch eine Ahnung davon haben, wie Stoffe funktionieren, welche Vor- und Nachteile Baumwolle oder Seide haben, wie man sie einsetzen kann.“
Bis Generatives Design auf den Laufstegen der Modewochen von Paris bis New York gelandet ist, wird es wohl noch etwas dauern. An den Gedanken eines Modeschöpfers, der gemeinsam mit einer künstlichen Intelligenz unsere Kleidung entwirft, muss man sich noch gewöhnen.
Sendungshinweis: KulturMontag, 13.03.2023
Nicola Eller, ORF TV Kultur (Text und Gestaltung), ORF TOPOS, Kafeela Adegbite (Schnitt)
Links:
- Bradly Dunn Klerk (Instagram)
- Iris Van Herpen
- Flora Miranda
- Modeabteilung der Königlichen Akademie der schönen Künste in Antwerpen
- Xerrox Vol. 2 (Schauspiel Köln)
v1.0.4-production (06. April 2023, 08:59:15)
QELLE : ORF.AT/TOPOS